Missverstandene Innerrhoder passen sich an

21.11.2017, 09:53 Uhr
· Online seit 21.03.2017, 15:24 Uhr
Die Innerrhoder stehen seit jeher vor dem immer gleichen Problem: Sie werden nicht richtig verstanden. Deshalb haben sie ihre Sprache im Laufe der Jahre anderen Dialekten angepasst und nehmen dafür den Verlust ihrer Dialektwörter in Kauf.
Stephanie Martina
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Joe Manser ist ein Ur-Appenzell-Innerrhoder. Auf dem Spaziergang mit seinen Enkeln spricht der 71-Jährige von «Äbese» und «Iime», seine Enkelkinder von «Ameise» und Biene». Dies ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass sich der Innerrhoder Dialekt in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert hat. «Es ist eine Tatsache, dass sich die Sprache seit jeher verändert. Das ist kein neues Phänomen. Neu ist hingegen, dass sich die Sprache schneller als je zuvor wandelt. Innerhalb der vergangenen 25 bis 30 Jahren sind viele Innerrhoder Dialektwörter aus dem täglichen Gebrauch verschwunden», sagt Joe Manser.

Obwohl viele Dialektwörter nicht mehr zum gebräuchlichen Innerrhoder Wortschatz gehören, sind sie dennoch nicht ganz in Vergessenheit geraten. Das sieht Manser auch immer wieder bei seinen Enkeln. «Sie verstehen, was ich meine, verwenden aber, wenn sie über das Gleiche sprechen, andere Ausdrücke. Früher haben wir noch ‹z Veschber gesse›. Es hat Brot mit ‹Schmalz› und ‹Hung› oder ‹Latweri› gegeben. Heute isst man ‹Vieri› und es gibt Brot mit Butter und Honig oder Konfi.»

Manche Wörter wolle die junge Generation aber auch nicht mehr verwenden. «Sie finden, dass einige Innerrhoder Ausdrücke bäuerlich und veraltet sind und heute keiner mehr so sprechen würde», erklärt der Dialektforscher. Deshalb werden typische Dialektwörter häufig durch solche aus anderen Dialekten ersetzt oder man orientiere sich an der Schriftsprache.

«Mektig»: Montag oder Mittwoch?

Dass die Innerrhoder ihren Dialekt immer mehr vereinfachen und anderen angleichen, hat einen einfachen Grund: Sie wollen besser verstanden werden. Auch Manser passierte es vor allem in seiner Funktion als ehemaliger Geschäftsführer des Zentrums für Appenzeller Volksmusik immer wieder, dass er aufgrund seines Dialektes missverstanden wurde. «Wenn ich einen Termin auf den ‹Mektig› abgemacht habe, musste ich immer erklären, dass das der Mittwoch ist, weil Auswärtige sonst am Montag vorbeigekommen wären.»

Deshalb habe er im Laufe der Jahre seinen Dialekt leicht angepasst. «Die Hauptaufgabe der Sprache ist es, dass man sich gegenseitig versteht und deshalb darf man dem Verlust von Dialektwörtern auch nicht nachtrauern», sagt der ehemalige Oberstufenlehrer. Würde er heute noch im Innerrhoder Dialekt sprechen, der vor gut 40 Jahren auf dem Lande gesprochen wurde, würde ihn selbst im eigenen Kanton kaum noch jemand verstehen – ausser vielleicht ältere Generationen.

Mach den Selbstversuch:

Ausschnitt aus «E Gschichtli us em Hempeeml» (1971)
Em Sonntig, wo denn Tauffi gsee ischt, het de Gvatemaa – s Buebes de Grooss – gschone, ischt gad fadeboneid gsee: e niglnaglneus Göller, e pögledi Schmisette ond en Huet, e het nooch a Pfättene ui ggrääge möge. Si sööd denn mit de topplede Tauffi schnuestraks em Doof zue, ond t Meidöni – s Bitzgi – hetere no noigrüeft: «Luegid denn, ase nüd z onderobsi sööd vom vetrinke, ond ase nüd vereelosid ab de Chröömli ond bis zletscht no öbe de Steflhond uuskeiid». De Marei het denn zonnere gsäät: «Dee sött me e Chaab aalegge, denn mööstischt diini Gosch au emol zue haa.» E het denn em Gvatemaa gad no plöösled: «Du, me zwee nehd denn em Zedl-Oobed e Bodölle vom Stegefässli. Bisons – bhüet-di Gott, ond chomm meh zonis!»

(Übersetzung am Textende)

16. Juli 2019 - 18:51

Wandel lässt sich nicht stoppen

Dass sich der Innerrhoder Dialekt laufend wandelt, lasse sich nicht verhindern. «Die Bevölkerung gibt vor, wie gesprochen wird», erklärt Manser. Doch gerade weil die Sprache nicht gesteuert werden könne, hält es der Sprachforscher für umso wichtiger, dass der Innerrhoder Dialekt sowie auch alle anderen Schweizer Dialekte dokumentiert werden, damit ersichtlich ist, wie sie einst ausgesehen haben. Aus diesem Grund habe er im 2001 ein Buch mit dem Titel «Innerrhoder Dialekt, Mundartwörter und Redewendungen» herausgegeben.

Um den eigenen Dialekt zu erhalten, wurde ehemals gefordert, dass sich Lehrerinnen und Lehrer darum bemühen sollten. Aber das sei unmöglich, sagt Manser. Denn in der Primarschule werde ab der ersten Klasse Schriftdeutsch gesprochen. Dazu komme, dass viele Lehrer im Kanton von auswärts kommen und den Dialekt deshalb gar nicht pflegen könnten. «Die einzige Möglichkeit, den Dialekt zu erhalten, führt über das Elternhaus. Doch auch hier stellt sich das gleiche Problem: Sobald ein Elternteil zugezogen ist, kommt es zu einer Vermischung der Sprache. Damit müssen und können wir Innerrhoder aber gut leben.»

Übersetzung:
Ausschnitt aus «Ein Geschichtchen aus dem Hemdärmel» (1971)

Für die Taufe am Sonntag hat sich der Götti – ein Grossonkel – herausgeputzt wie nur etwas: ein neu gekaufter Kragen zum Hemd, ein frisch gebügeltes Hemd, und er trug einen so grossen Hut, der nahezu bis an die Dachrinne hinauf reichte. Gemeinsam mit der Zwillingstaufe gingen sie dann geradewegs Richtung Dorf, und Marie-Antonia – die Kleinwüchsige – rief ihnen noch nach: «Passt auf, dass ihr nicht übertreibt beim anschliessenden Alkoholkonsum, und dass euch nicht noch übel wird ob dem zuvielen Guetsligenuss, um nicht bei der Heimkehr noch über jenen Holzblock zu stolpern, der eigentlich für das Ausziehen der Stiefel gedacht wäre.« Der «Marei» [Spitzname] erwiderte barsch: «Dir sollte man ein Ziegengestell überziehen, um dich und dein Maul zu bändigen wie sichs gehört.» Dem Götti flüsterte er dann nur noch zu: «Du, wir zwei genehmigen uns dann am Zins-Abend eine gehörige Flasche Wein. Bis dahin – behüt dich Gott – und besuche uns vermehrt!»

Noch ein Versuch? Teste, wie gut du die Appenzeller verstehst.

veröffentlicht: 21. März 2017 15:24
aktualisiert: 21. November 2017 09:53

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