Altruismus auch bei nicht verwandten Tieren

12.01.2016, 11:44 Uhr
· Online seit 12.01.2016, 11:32 Uhr
Gegenseitige Hilfe ist im Tierreich weit verbreitet. Entgegen der Lehrmeinung müssen Geber und Nehmer dazu nicht verwandt oder hochintelligent sein, wie Forscher um Michael Taborsky von der Universität Bern aufzeigen.
René Rödiger
Anzeige

Seit Charles Darwin (1809-1882) tun sich die Evolutionsbiologen mit Erklärungen schwer, wie sich Altruismus in einer Welt entwickeln konnte, wo die natürliche Auslese die «fittesten» Vertreter einer Art fördert.

Egal, ob sie andere füttern, lausen, beim Kinder-Grossziehen unterstützen oder sie verteidigen, verlieren Helfer immer Zeit, Ressourcen und manchmal ihr Leben. Dadurch sollten sie weniger Nachkommen haben und allmählich von der Bildfläche verschwinden.

Der britische Biologe William Hamilton erklärte dieses Paradoxon vor gut fünfzig Jahren mit der «Verwandtenselektion»: Tiere fördern das Weiterbestehen ihrer Gene auch, wenn sie Individuen gleicher Abstammung unterstützen, weil diese viele gleiche Erbinformationen tragen.

«Durch die starke Erklärungskraft der Verwandtenselektion hat man aber ein bisschen vergessen, auf alternative Mechanismen zu schauen», sagte der österreichische Biologe Michael Taborsky, der am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern forscht, im Gespräch mit der APA.

Um viele Kooperationsrätsel im Tierreich und bei Menschen würde man sich herumwinden, indem man versteckte Verwandtenkooperation annimmt, anstatt sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Auf diesen Nachholbedarf in Fachkreisen wolle man in einem Sonderheft des Fachjournals «Philosophical Transactions of the Royal Society B» hinweisen.

Es habe sich immer mehr gezeigt, dass altruistische Hilfe oft auch nicht verwandten Sozialpartnern entgegengebracht wird, so die Forscher. «Im Widerspruch zu Hamiltons Theorie findet man sogar, dass Verwandtschaft Kooperation mitunter hemmt, anstatt sie zu fördern», erklären sie.

Wenn Vampirfledermäuse nicht regelmässig eine Blutmahlzeit ergattern, sterben sie den Hungertod. Wenn jemand leer ausgeht, spenden sie einander erbeutete Mahlzeiten. Das passiert öfter bei nicht blutsverwandten Artgenossen, die durch frühere Spenden oder durch Entlausen Sozialpartner geworden sind, als bei Verwandten, berichten die Forscher.

Genauso bauen etwa nicht verwandte Feldwespen gemeinsame Nester, wo ein dominantes Weibchen Junge produziert, die von ihren Mitbewohnerinnen mit aufgezogen werden. Hier greifen wahrscheinlich andere Mechanismen, wie spätere Gegenleistungen nach dem Motto «Wie du mir, so ich dir».

Bisher wurde dieser «reziproke Altruismus» im Tierreich aber für unbedeutend erachtet, kritisieren die Forscher. Man traute den Tieren die nötigen kognitiven Fähigkeiten nämlich nicht zu. Doch simple Verhaltensregeln wären ausreichend, die Tiere müssten sich nicht einmal merken, wer ihnen bereits geholfen hat, so Taborsky.

Wenn sie nach einer empfangenen Hilfe auch ihrerseits ungeschaut helfen («generalisierte Reziprozität»), würde dies laut Modellen von Taborsky und Kollegen zu evolutionär stabilen Kooperationsformen führen.

Diesen Mechanismus habe man schon bei Ratten, Hunden und Affen nachgewiesen, so der Forscher. «Man hat die Tiere für zu dumm gehalten, um solche Regeln anzuwenden, aber das ist absolut nicht richtig», erklärte der Biologe.

Bei einer Reihe von Wirbeltieren von Fischen bis Menschenaffen habe man sogar die direkte Reziprozität beobachtet, also dass ein Individuum einem anderen hilft, von dem es vorher Unterstützung empfangen hat.

Dafür müsse es natürlich den Sozialpartner erkennen und sich an frühere Interaktionen erinnern. Diese Kompetenzen sind aber durchaus weit verbreitet. «Wenn Tiere im Wettstreit um Nahrung einem Gruppenmitglied unterliegen, machen sie ihm in Zukunft sein Futter nicht mehr streitig», so die Forscher.

Auch hier verbinden sie eine individuelle Identität mit einem Verhalten und den Konsequenzen, um künftige Entscheidungen zu treffen. Nichts weiter sei nötig, damit Tiere reziprok kooperieren.

Niemand würde die Verwandtenselektion und ihre Bedeutung anzweifeln, doch andere Mechanismen seien vielleicht genau so wichtig, sagte Taborsky.

veröffentlicht: 12. Januar 2016 11:32
aktualisiert: 12. Januar 2016 11:44
Quelle: SDA

Anzeige
Anzeige