Auffrischungen, Bewährtes und Neuausrichtungen

03.09.2016, 13:02 Uhr
· Online seit 03.09.2016, 12:17 Uhr
Rund zwei Monate nach der EM beginnt am Sonntag für die europäische Elite ein neuer Zyklus. Neben Gastgeber Russland qualifizieren sich 13 weitere europäische Teams für die Endrunde.
Angela Mueller
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Mit dem Auftritt des Weltmeisters Deutschland in Oslo gegen Norwegen und acht weiteren Partien beginnt am Sonntag die Qualifikation zur WM-Endrunde 2018 in Russland. Ein Round-up vor dem Start zur Ausscheidung:

Exakt 52 Tage blieben dem französischen Nationalteam, die 0:1-Niederlage gegen Portugal im EM-Final in Paris zu verarbeiten. Die Enttäuschung der Trikolore hat sich weitgehend verflüchtigt, die Mission Moskau beginnt. Nach einem prestigeträchtigen Warum-up gegen den vierfachen Weltmeister Italien will Didier Deschamps in einem weniger prätentiösen Rahmen in Weissrussland das neue Projekt perfekt lancieren.

Im Stamm spielen mehrheitlich die Stars der EM die Hauptrolle, eine gewisse Auffrischung ist trotzdem unverkennbar. «DD» ersetzte acht Endrunden-Teilnehmer. Er habe 40 bis 50 Spieler auf seinem Radar. Und: «Die EURO ist Geschichte, vor uns steht eine andere lange Periode.» Deschamps verspricht sich von der Zukunft viel: «Diese Mannschaft besitzt alles, um geliebt zu werden. Ihre Spiellust ist spürbar.»

In der Gruppe mit «Les Bleus» und den ambitionierten Schweden planen die in der letzten EM-Ausscheidung gedemütigten Niederländer das Comeback. Das anhaltende Theater in ihrem Coaching-Stab verdeutlicht aber, dass derzeit im «Koninklijke Nederlandse Voetbalbond» strukturelle Probleme vorhanden sind. Cheftrainer Danny Blind verlor innerhalb weniger Tage seine Assistenten-Crew: Dick Advocaat zog eine Offerte von Fenerbahce Istanbul vor, Marco van Basten wechselt per sofort in die FIFA-Administration.

In der Schweizer Gruppe proben am Tag der Topaffiche Schweiz vs. Portugal zwei Zwerge den (aussichtslosen) Aufstand. Die Färöer empfangen Ungarn, das in Frankreich in der Vorrunde mit Spektakel aufgefallen ist. Auf WM-Qualifikationsebene haben die Insulaner seit ihrem Debüt 1992 in 60 Partien 51 Niederlagen angehäuft. Die Magyaren ihrerseits peilen unter Bernd Storck die erste WM-Teilnahme seit 1986 an. Lediglich sieben Verbände sind im FIFA-Ranking hinter Andorra klassiert, das den Platz in 135 Spielen nur dreimal als Sieger verliess. Im Estadi Nacional hofft die Weltnummer 203 gegen Lettland auf ein einigermassen erträgliches Ergebnis.

Auf dem Weg zur 17. WM-Teilnahme in Serie wird Deutschland, innerhalb einer Dekade an allen relevanten Turnieren mindestens Halbfinalist, unter normalen Umständen nicht aufzuhalten sein. Im Sommer überzeugte die Auswahl von Jogi Löw mit einem modernen, ballorientierten Fussball. Das Gold-Double WM/EM verpasste die Mannschaft zwar, aber die taktische Ausrichtung stimmt, der Nachschub an Talenten ist überdurchschnittlich gross. Dass eine bessere B-Auswahl der U23-Generation beim olympischen Turnier den Final erreichte, zeigt die tiefgründigen Ressourcen im Land des Weltmeisters auf. Die Rücktritte des langjährigen Captains Bastian Schweinsteiger und des DFB-Entertainers Lukas Podolski sind problemlos zu verkraften.

Für ihre mangelnde Turniererfahrung bezahlten die im eigenen Land hoch gehandelten Österreicher bar. Vom Coup hatten sie geträumt, ergebnislos reisten sie von der EM zurück. Christian Fuchs, Meinungsmacher und Leader, zog sich enttäuscht zurück. Marcel Koller muss das Team neu formieren, sonst droht die Stagnation. In Tiflis wäre ein nächster Ausrutscher der erste Schritt zur landesweiten Debatte. EM-Halbfinalist Wales, die spielerisch beachtlich veranlagten Iren und die unberechenbaren Serben garantieren ein tückisches Programm. «Es beginnt jetzt eine komplett neue Zeitrechnung», sagt ÖFB-Präsident Leo Windtner. Das Interesse an Kollers Team ist nach wie vor hoch: für die ersten beiden Heimspiele wurden bereits je 25'000 Tickets abgesetzt.

13 Tore markierte Polens Stürmerstar Robert Lewandowski in der letzten Ausscheidungsperiode. Auf ihn ist das kraftvolle Spiel der Osteuropäer ausgerichtet. Mit dem 28-Jährigen an der Spitze, der in 195 Bundesliga-Partien 124 Treffer geschossen hat, will der EM-Viertelfinalist Rumänien und Dänemark ausschalten.

England muss dringend sein ramponiertes Image korrigieren. Die epochale Blamage gegen Island im Land der Premier-League-Milliardenumsätze einen Orkan der Entrüstung ausgelöst. Der «Daily Mirror» holte zum medialen Kahlschlag aus: «Das war das schlimmste Ereignis in der englischen Fussball-Geschichte.» Der Ex-Internationale Chris Waddle doppelte nach: «Wir haben keine Führungsspieler.»

Sam Allardyce, 61, vor seiner Beförderung zum neun Boss der «Three Lions» eher im unteren Klub-Tableau tätig, relativiert die kritische Haltung. Der Mann ohne Minderwertigkeitskomplexe hält an vielen personellen Vorgaben seines Vorgängers Roy Hodgson fest; Wayne Rooney bleibt der Skipper mit der Nummer 10. Für Aufsehen sorgte sein Gedankenanstoss, bei Engpässen doch künftig vermehrt Einbürgerungen von Nachwuchssportlern anzustreben. «Im Cricket passiert das, im Rugby, in der Leichtathletik ebenfalls.»

Im Klubfussball haben die spanischen Klubs in den letzten drei Saisons ausnahmslos jede Trophäe gewonnen. Das Nationalteam hingegen tut sich schwer. Dem frühen Out in Brasilien folgte im Achtelfinal der Kontinental-Meisterschaft gegen Italien eine 0:2-Ernüchterung. Nach dem partiellen Umbruch ist vor dem nächsten Gipfeltreffen mit Italien - am 6. Oktober. Die «Squadra Azzurra» wird künftig von Giampiero Ventura gecoacht, der in den letzten 30 Jahren abseits der Serie-A-Zentren primär Spieler formte.

Für Albanien und seine vielen Schweizer Secondos kommt die anspruchsvolle Zeit der Bewährung. Sie haben zum einen eine Reizüberflutung zu bewältigen, andererseits dürften Challenge-League-Profis wie Armando Sadiku und Burim Kukeli zunächst Mühe haben, den internationalen Rhythmus zu adaptieren.

Im Stade Pierre Mauroy in Lille manövrierte sich Belgien selber verschuldet in einen Depressions ähnlichen Zustand. Das demaskierende 1:3 gegen Wales im EM-Viertelfinal könnte dem spektakulären, aber teilweise nonchalanten Ensemble die Augen geöffnet haben. Ohne strikten Plan ist wenig auszurichten. Wohl auch deshalb treibt der Verband den Umbau voran. Der spanische Taktiker Roberto Martinez (ex Everton) soll alles neu programmieren. «Er muss den EM-Frust aus den Köpfen bekommen», sagte die Keeper-Ikone Jean-Marie Pfaff in einem Interview mit dem FIFA-Magazin.

Nicht nur der Zürcher Albert Bunjaku, derzeit in St. Gallen engagiert, hat jahrelang davon geträumt, mit der Republik Kosovo auf der internationalen Fussball-Bühne aufzutauchen. In Turku gegen Finnland startet der erst im letzten Mai von der FIFA und UEFA anerkannte Verband zur ersten Qualifikation seit der Abspaltung von Ex-Jugoslawien. Die Neuankömmlinge bemühten sich in den letzten Wochen intensiv um Verstärkungen - die FIFA prüft angesichts der speziellen Umstände den Nationenwechsel pro Einzelfall. Das Interesse der arrivierten Ausland-Kosovaren beschränkte sich indes mehrheitlich auf Lippenbekenntnisse.

veröffentlicht: 3. September 2016 12:17
aktualisiert: 3. September 2016 13:02
Quelle: SDA

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