Bundesrat schlägt einseitige Schutzklausel als Zwischenlösung vor

04.03.2016, 18:30 Uhr
· Online seit 04.03.2016, 14:00 Uhr
Der Bundesrat schlägt dem Parlament eine einseitige Schutzklausel vor, um die Masseneinwanderungsinitiative umzusetzen. Mit dieser könnte die Schweiz ab 2019 Kontingente für EU-Bürger einführen. Für den Bundesrat ist das lediglich eine Zwischenlösung.
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Eine echte Lösung müsste den Text der Masseneinwanderungsinitiative respektieren und gleichzeitig die Kündigung der bilateralen Verträge verhindern. Wenigstens das zweite Ziel ist mit der einseitigen Schutzklausel kaum zu erreichen. Vor den Bundeshausmedien sprach Justizministerin Simonetta Sommaruga darum am Freitag von der «bestmöglichen Zwischenlösung».

Diese sieht vor, dass der Bundesrat auf Empfehlung einer Zuwanderungskommission Jahr für Jahr einen Schwellenwert für die Zuwanderung festlegt. Ist dieser am 1. Juli überschritten, führt er im Jahr darauf Höchstzahlen ein. Weil dabei auch die Arbeitslosigkeit und die Schwierigkeiten der Arbeitgeber bei der Stellenbesetzung berücksichtigt werden, ist nach Ansicht des Bundesrats auch der Inländervorrang in der Regelung enthalten.

Für dieses Vorgehen des Bundesrats sprechen laut Sommaruga mehrere Gründe: Das Parlament könne zu einer verfassungskonformen Umsetzung Stellung nehmen. Gleichzeitig könnten die Verhandlungen mit der EU über eine einvernehmliche Lösung weitergeführt werden. Und schliesslich halte der Bundesrat damit die Umsetzungsfrist ein. Diese läuft am 9. Februar 2017 ab.

Daneben hat die Lösung aber auch grosse Nachteile. Jede eigenmächtige Einschränkung der Zuwanderung verletzt das Freizügigkeitsabkommen mit der EU. Die Schweiz muss mit Gegenmassnahmen rechnen und im schlimmsten Fall mit der Kündigung des Abkommens und dem Wegfall der Bilateralen I.

Zudem lässt das Bundesgericht gar keine Einschränkung des Abkommens zu. Im Einzelfall lasse sich die einseitige Schutzklausel nur umsetzten, wenn das Abkommen gekündigt werde, schreibt der Bundesrat darum in seiner Botschaft ans Parlament.

Darum verhandelt er weiter über eine einvernehmliche Schutzklausel - «die einzige Lösung», wie Sommaruga sagte. Im Rahmen von Konsultationen mit der EU-Kommission hat sich im Lauf des letzten Jahres ein Ausweg auf Basis des Freizügigkeitsabkommens herauskristalisiert: Dieses erlaubt Einschränkungen des freien Personenverkehrs «bei schweren wirtschaftlichen oder sozialen Problemen».

Das müsste aber im Gemischten Ausschuss beschlossen werden, was nicht der von der Verfassung verlangten «selbständigen Steuerung» der Zuwanderung entspricht. Genau darum gehe es in den laufenden Verhandlungen, versicherte Sommaruga.

Mit dem vorgeschlagenen Mechanismus für eine Schutzklausel würde sich der Bundesrat zwei Jahre Zeit erkaufen, eine einvernehmliche Lösung mit Brüssel zu finden: Die Initiative muss zwar 2017 umgesetzt sein, Zuwanderungsbeschränkungen würden aber nicht vor 2019 verhängt.

Bei anderen Dossiers ist der Zeitdruck grösser: Dehnt die Schweiz die Personenfreizügigkeit nicht bis am 9. Februar 2017 auf Kroatien aus, fliegt die Schweiz definitiv aus der europäischen Forschungszusammenarbeit Horizon 2020. Wenn die Ratifizierung des Kroatien-Protokolls bis dahin gelingt, winkt hingegen die volle Assoziierung.

Der Bundesrat hat darum am Freitag einen Pflock eingeschlagen und dieses unterzeichnet. Unmittelbar nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative hielt er das noch für ausgeschlossen. Inzwischen habe sich gezeigt, dass dass der politische Wille für eine einvernehmliche Lösung vorhanden sei, sagte Sommaruga. Damit sei eine andere Ausgangslage entstanden.

Sie betonte aber auch, dass der Bundesrat die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien nur ratifizieren werde, wenn bis dahin eine einvernehmliche, verfassungskonforme Lösung mit der EU vorliege. Zuerst ist nun aber das Parlament am Zug. Der Nationalrat will das Geschäft schon Ende April beraten. Da die SVP kein Referendum ergreifen will, könnte die Ratifikation schon im Herbst genehmigt sein.

Der Bundesrat hat am Freitag weitere Entscheide gefällt, um die Zuwanderung zu drosseln und das inländische Potenzial besser nutzen zu können. Beispielsweise will er die Integration von Flüchtlingen, vorläufig Aufgenommenen und Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt fördern.

Zum einen soll die Sonderabgabe auf Löhnen abgeschafft werden, zum anderen sollen Arbeitgeber kein Bewilligungsverfahren mehr durchlaufen müssen. Weitere Änderungen des Ausländergesetzes betreffen den Familiennachzug. Wer Ergänzungsleistungen bezieht, soll seine Familie künftig nicht mehr ins Land holen dürfen.

Ausländer und Ausländerinnen, die zur Stellensuche einreisen, sollen künftig in der ganzen Schweiz keine Sozialhilfe mehr erhalten. Heute ist dies je nach Kanton anders geregelt. Mit einer Änderung des Ausländergesetzes will der Bundesrat nun Klarheit schaffen und Sozialhilfemissbrauch verhindern.

Wenig Konkretes hat der Bundesrat gegen Lohndumping beschlossen: Er will die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit vorerst nicht weiter verschärfen, als der Nationalrat ohnehin schon beschlossen hat. Normalarbeitsverträge sollen verlängert werden können, wenn Verstösse gegen den Mindestlohn festgestellt wurden und Hinweise vorliegen, dass es ohne Normalarbeitsvertrag zu Lohndumping käme.

veröffentlicht: 4. März 2016 14:00
aktualisiert: 4. März 2016 18:30
Quelle: SDA

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