Staat tut zuwenig gegen Kinderarmut

16.11.2017, 09:25 Uhr
· Online seit 16.11.2017, 09:15 Uhr
Weniger als 20 Franken pro Tag: 78 000 Kinder sind in der Schweiz von Armut betroffen. Die Caritas Schweiz fordert eine nationale Strategie zur Armutsbekämpfung.
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Kinderarmut sei in der Schweiz eine Tatsache: 76'000 Kinder sind landesweit von Armut betroffen, und weitere 188'000 Kinder leben in prekären Verhältnissen knapp oberhalb der Armutsgrenze, wie die Caritas am Donnerstag vor den Medien bekanntgab.

Besonders stark betroffen seien Kinder, die in einem alleinerziehenden Haushalt aufwachsen sowie jene, deren Eltern ein tiefes Bildungsniveau aufwiesen: Eine von Armut betroffene Familie müsse heute mit weniger als 20 Franken pro Tag und pro Person für Essen, Kleidung, Energie, Hygiene, Mobilität, Kommunikation, Unterhaltung und Bildung über die Runden kommen.

Der Staat investiere zu wenig in Kinder und Familie. Mit 1,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes liege sie deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 2,3 Prozent. Die Schweiz müsste dreieinhalb Mal so viel in die familienergänzende Betreuung investieren wie heute.

Auffallend sei insbesondere die geringe Subventionierung von Plätzen in Kindertagesstätten. Das habe zur Folge, das Eltern in der Schweiz verglichen mit den Nachbarländern einen doppelt bis dreifach so hohen Anteil an den Gesamtkosten tragen müssten.

Erprobte Massnahmen gegen Kinderarmut seien bislang am politischen Willen gescheitert, kritisiert Caritas. Das Hilfswerk fordert, dass Familienergänzungsleistungen nach dem Modell des Tessins oder der Waadt schweizweit eingeführt werden.

Kantone und Gemeinden müssten gemeinsam mit dem Bund ein Angebot in der familienexternen und schulergänzenden Betreuung realisieren, das die Nachfrage decke. Dabei könne auch das Tessiner Modell des freiwilligen Kindergartens ab drei Jahren als Vorbild dienen. Zusätzlich müsse die Wirtschaft in allen Berufsfeldern und auf allen Karrierestufen familienfreundliche Arbeitsbedingungen verwirklichen.

Alle Kinder sollten zudem Zugang zu qualitativ guter früher Förderung haben, sei dies in institutionellen Angeboten wie Kindertagesstätten oder in aufsuchenden Projekten. Für armutsbetroffene Familien müssten diese Angebote kostenlos sein.

Gelinge es den Kantone nicht, frühe Förderung schweizweit zu realisieren, müsse der Bund die Verantwortung für diesen aus Armutsperspektive zentralen Bereich übernehmen.

Caritas fordert angesichts des 2018 auslaufenden Nationalen Programmes zur Prävention und Bekämpfung von Armut, dass der Bund sein Engagement fortsetzt. Denn alle Zahlen und Untersuchungen zur Armut in der Schweiz wiesen darauf hin, dass Armut die grösste soziale Herausforderung der kommenden Jahrzehnte bleiben werde.

Der Bund müsse gemeinsam mit den Kantonen, Gemeinden, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Armutsbetroffenen eine Schweizerische Strategie zur Armutsbekämpfung und Armutsprävention entwickeln.

Um das Wissen und die Erfahrungen von Kantonen, Gemeinden und Bund zu bündeln, brauche es ein nationales Kompetenzzentrum Armutsbekämpfung. Notwendig sei auch ein nationales Armutsmonitoring, das alle Daten aufbereite und bestehende Massnahmen evaluiere.

Damit der Bund seine Rolle in der Armutspolitik übernehmen könne, sei er auf den Austausch mit Fachpersonen und verantwortlichen Stellen der anderen Akteure wie Kantonen, Gemeinden und Nichtregierungsorganisationen angewiesen, heisst es weiter.

Deshalb sollte der Bundesrat eine Eidgenössische Kommission für Armutsfragen einsetzen, in der Fachleute aus diesem Bereich armutsrelevante Themen und Geschäfte aufnehmen und Empfehlungen abgeben können. Künftig sollte zudem keine bundesrätliche Botschaft mehr erlassen werden, ohne dass deren Auswirkungen auf die Armut herausgearbeitet würden.

veröffentlicht: 16. November 2017 09:15
aktualisiert: 16. November 2017 09:25
Quelle: SDA

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