Dramatische Rettungsaktion am Seerhein

27.04.2018, 10:19 Uhr
· Online seit 27.04.2018, 10:00 Uhr
Beinahe wäre ein Austausch-Schüler aus Schanghai letzten Sommer im Seerhein ertrunken. Lehrerin Eva Büchi holte den 15-Jährigen aus dem Wasser und leistete erste Hilfe. Am 4. Mai wird sie als Lebensretterin ausgezeichnet.
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«Ich freue mich riesig über diese Auszeichnung.  Aber vor allem bin ich froh, dass der Verunfallte wieder ganz wohlauf ist. Das ist ein Wunder», sagt die Geschichts- und Deutschlehrerin der Kantonsschule Kreuzlingen zehn Monate nach dem schweren Unfall. Die Ärzte des Uni-Spitals Zürich gaben dem Jugendlichen nur eine minimale Überlebenschance. Doch seit Ende Oktober ist der 15-Jährige aus Schanghai zurück in seiner Klasse und schreibt seiner Lebensretterin regelmässig E-Mails - und zwar auf Deutsch.

Der Unfall passierte an einem heissen Nachmittag Ende Juni. Die Verantwortliche des Schüleraustauschprojekts unternahm mit den elf Gastschülern und deren chinesischen Betreuer einen Ausflug am Untersee. Nach einer Schifffahrt war Baden im Seerhein angesagt. Bevor die 15- und 16-jährigen Schülerinnen und Schüler in der Badi Tägerwilen ins Wasser durften, kontrollierte die passionierte Schwimmerin und Taucherin Strömung, Wassertiefe und Wassertemperatur.

Wenig später schwammen die Schüler, die mehrmals versichert hatten, dass sie schwimmen können, zum Floss. Es liegt etwa 25 Meter vom Ufer entfernt, das Wasser dort ist mehr als zwei Meter tief. Die Lehrerin und der Begleiter beobachteten die Badenden vom Land aus.

Plötzlich brach ein Tumult aus. Einer der Jugendlichen rief auf Deutsch um Hilfe. Eva Büchi sprang sofort ins Wasser, schwamm hinaus und tauchte ab. Ein Schüler lag reglos auf dem Seegrund und starrte seine Retterin mit offenen Augen an. «Ich wusste, jetzt stürzt eine Lawine auf mich ein. Das machte mir Angst», erinnert sich die 54-Jährige an die dramatischsten Minuten ihres Lebens. Dann habe sie sich gesagt: «Du schaffst das».

SLRG-Training half

Beherzt holte die ausgebildete Rettungstaucherin Luft, tauchte nochmal ab und zog den leblosen Körper an die Wasseroberfläche. Dann brachte sie den 1,80 Meter grossen und 70 Kilogramm schweren jungen Mann unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte an Land. Ein Spaziergänger half, den leblosen Körper aus dem Wasser zu ziehen. Der Verunfallte atmete nicht und hatte keinen Puls. Sofort begann die Lehrerin mit der Beatmung und machte Herzmassage. Eine Sparziergängerin kam zur Hilfe geeilt. Doch der Jugendliche regte sich nicht.

Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte die Helferin zu Büchi: «Er ist tot, wir sollten ihm seine Ruhe lassen». Doch die Lehrerin, die erst wenige Wochen zuvor den Erste-Hilfe-Kurs aufgefrischt hatte, machte weiter. Nach einer endlos langen Zeit - in Wirklichkeit waren es 12 Minuten - kamen der Rettungsdienst sowie die Rega. Der Verunfallte wurde ins Kinderspital St. Gallen geflogen. Kurze Zeit später musste er in eine Spezialabteilung des Universitätsspitals Zürich verlegt und an eine sogenannte externe Lunge angeschlossen werden.

«Am nächsten Tag beim Besuch im Spital sagten die Ärzte mir, seine Überlebenschance läge bei höchstens fünf Prozent», erinnert sich die Lehrerin. Doch dank modernster intensivmedizinischer Behandlung wachte der Patient zehn Tage nach dem Unfall auf. Einige Tage später konnte er zusammen mit seinen Eltern nach Shanghai zurückreisen.

Strafverfahren eingestellt

In den ersten Tagen nach dem Unfall war Büchi voller Adrenalin und freute sich über die erfolgreiche Rettung. Gleichzeitig war sie verunsichert und kam mit ihrer Rolle als Verantwortliche nicht klar. Um den Unfall zu verarbeiten, nahm sie die Hilfe einer Notfall-Psychologin in Anspruch.

Endgültig erleichtert war Büchi, als Ende Oktober das gegen sie eröffnete Strafverfahren eingestellt wurde. Sie hatte ihre Verantwortung als Lehrerin erfüllt.

Am 4. Mai werden Büchi und weitere Retter von der Carnegie Stiftung in Bern mit dem Lebensretter-Preis ausgezeichnet. Dass man Lebensretterinnen und Lebensretter öffentlich auszeichne, sei sehr wichtig, findet die Lehrerin. Für die Retter als Dank und Anerkennung, aber auch als Fingerzeig für die Gesellschaft, um sich daran ein Vorbild zu nehmen. «Noch wichtiger wäre, wenn alle einen Erste-Hilfe-Kurs machen und diesen regelmässig auffrischen.»

veröffentlicht: 27. April 2018 10:00
aktualisiert: 27. April 2018 10:19
Quelle: SDA

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