Fanny Smith spricht über ihre Lebenslinie

20.02.2018, 16:40 Uhr
· Online seit 20.02.2018, 16:00 Uhr
Nach zwei mittleren olympischen Dramen ist Fanny Smith bereit für die wichtigste Medaille ihrer Karriere. In Südkorea will die mit Abstand erfolgreichste Schweizer Skicrosserin endlich zuschlagen.
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Fanny Smith hat sich mit der Nachrichtenagentur sda über ihren kompromisslosen Weg unterhalten und von ihrer Bereitschaft erzählt, im Leben auf viel zu verzichten. Und die 25-jährige Westschweizerin spricht über ihre Dyslexie, die sie während ihrer Schulzeit stark belastete.

Sie haben in Ihrem Sport ausserhalb der Olympischen Spiele alles gewonnen, an den Winterspielen hingegen ging Ihr Plan zweimal schief.

«Beim ersten Mal war ich erst 17 und beging einige Fehler. Die Freude über das Diplom hielt sich in Grenzen. Ein Diplom, was ist schon ein olympisches Diplom? Aber mit dem Ergebnis von Vancouver konnte ich leben, Sotschi (8. Platz) hingegen tat mir weh. Das Malheur dort konnte ich lange nicht akzeptieren.»

Weshalb?

«Ich wusste vor der Reise nach Russland: ‹Hey, hier kann ich gewinnen.› Ich war extrem von mir selber überzeugt und hätte mich nur an meinen Plan halten müssen - nichts anderes. Aber irgendwie fühlte sich plötzlich alles zu einfach an, dann wurde es für mich kompliziert.»

Können Sie konkreter werden?

«Im Leben muss man immer um etwas ringen, um ganz Grosses zu erreichen. So bin ich eingestellt, so funktioniere ich. Für mich war kaum vorstellbar, unter derart guten Vorzeichen um Gold fahren zu können. Es klingt kompliziert, aber ich machte mir das Leben selber schwer; ich glaubte, ich könne wie die Männer fahren und riskierte einen Sprung, der fatal endete.»

Warum passiert Ihnen das Gleiche kein zweites Mal?

«Nach den Spielen 2014 habe ich die Probleme analysiert und danach extrem hart gearbeitet. Die Linie ist im Kopf, die Lektion habe ich verstanden. Womöglich wird der Druck etwas grösser sein, weil ich der letzten Medaille, die mir noch fehlt, alles untergeordnet habe.»

Wie gehen Sie mit den generell hohen Erwartungen in Ihrem Umfeld um?

«Sie sind mir egal. Was andere wollen oder erwarten, interessiert mich nicht. Es sind allein meine Ziele, mein Druck, meine Erwartungen, meine Träume. Aber klar, ich will die Menschen, die mir Energie und Support zufliessen lassen, die mich seit Jahren begleiten, auf keinen Fall enttäuschen.»

Guillaume Nantermod gehört nach neun Jahren nicht mehr zu Ihrem Stab.

«Wir haben beide viel investiert, um Ziele erreichen zu können. Wir gaben alles, was zu geben war. Vor jeder Saison mache ich eine Auslegeordnung und prüfe jedes Detail. Dabei habe ich gespürt, dass eine Veränderung nötig sein würde. Im Sport ist diese Erkenntnis nichts Aussergewöhnliches. Beim FC Sion geht das in der Regel viel schneller (lacht).»

Sie kehrten ins Nationalteam von Swiss-Ski zurück, trainierten in der Vorbereitung aber dennoch zeitweise losgelöst vom Team. Warum?

«Im Jahr der vielen neuen Prozesse wollte ich nicht alles komplett ändern. Ich bin Swiss-Ski sehr dankbar, dass ich im Sommer mit einem Europacup-Trainer in Ushuaia (in der südlichsten Stadt von Argentinien) arbeiten konnte. Wir fanden ein gutes Arrangement, sie akzeptierten meinen Rhythmus.»

Die Fortsetzung ihres Solo-Projekts kam nicht mehr in Frage?

«Ich habe viel überlegt und unzählige Optionen geprüft. Aber nach neun Jahren tut mir das Zusammenspiel im Team wahrscheinlich gut. Man verhält sich im Kollektiv anders. Neue Inputs sind wichtig.»

Lassen Sie uns über ein Thema sprechen, das in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist - Sie leiden unter einer Dyslexie, die Sie in Ihrer Kindheit stark einschränkte.

«Heute kann ich darüber lachen, aber früher fiel mir der Alltag schwer. Stunde um Stunde investierte ich. Die Lese- und Schreibschwäche liess sich trotzdem nicht beheben. Ich wollte es überall gut machen, erreicht habe ich kaum etwas. Meine Schulzeit war frustrierend.»

Wie äusserten sich die Probleme?

«Fünf Sätze in einem E-Mail kosteten mich 45 Minuten. Die Lehrer haben zum Teil gar nicht begriffen, um was es ging. Ich litt unter einer Krankheit, ich war gedanklich nicht abwesend.»

Und heute? Wie bewältigen Sie das Handicap? War der Sport Ausgleich und Therapie gleichermassen?

«Die Schreibarbeiten überlasse ich einer Freundin, sie braucht drei Minuten, um meine Gedanken umzusetzen. Ich selber telefoniere lieber. Der Sport war in der Tat mein Ausweg aus den schulischen Schwierigkeiten. Ich setzte früh zu 100 Prozent auf Skicross - mit Hilfe von sehr respektvollen Sponsoren.»

Aus wirtschaftlichen Gründen wird in der Regel niemand Skicross-Profi.

«In der Schweiz Spitzensportler zu sein, ist nicht einfach. Für mich hat sich das Risiko gelohnt. Ich bin angekommen, weil ich immer nach dem Höchsten strebte - in einem Land, das sich vor allem für Fussball und Hockey interessiert.»

Das klingt nicht nach Dolce Vita.

«Ich habe auf vieles verzichtet. Mein Bruder fährt sehr gut Ski, er hätte ein guter Athlet werden können, jetzt ist er Architekt. Er hat entschieden, die Weekends anders zu verbringen, mit Freunden zu sein, unabhängig zu leben, zu reisen, Leute zu treffen. Mein Leben ist komplett anders organisiert, aber das ist gut so. Ich könnte nie in einem Büro sitzen, ich atme lieber täglich frische Luft ein.»

Sie haben einen sehr guten Draht zu Lara Gut. Sind Sie in gewisser Weise Seelenverwandte? Beide gehen nur wenige Kompromisse ein, beide sind sehr jung ins Wintersport-Business eingestiegen.

«Wir lernten uns bei einem Swiss-Ski-Meeting kennen und schätzen. Vor zwei Jahren trainierte ich mit Lara. Im vorletzten Sommer besuchten wir zusammen Wimbledon, um Timea (Bacsinszky) zu sehen, um mit ihr Spass zu haben. Wir verstehen uns, beide sind in positiver Hinsicht verrückt. Wir tun Dinge, wie wir sie für richtig halten.»

veröffentlicht: 20. Februar 2018 16:00
aktualisiert: 20. Februar 2018 16:40
Quelle: SDA

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