DSI am Ständemehr gescheitert

28.02.2016, 17:57 Uhr
· Online seit 28.02.2016, 13:23 Uhr
Die Durchsetzungsinitiative (DSI) und die Nahrungsmittelinitiative sind am Ständemehr gescheitert. Die zweite Gotthard-Röhre scheint hingegen gute Chancen zu haben. Die Heiratsstrafen-Initiative steht auf der Kippe. Bei der Nahrungsmittel-Initiative zeichnet sich eine Abfuhr ab.
Christine König
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Durchsetzungsinitiative

Die meisten Kantone haben Nein gesagt, für eine Mehrheit der 23 Standesstimmen reicht es nicht mehr: Die Durchsetzungsinitiative ist am Ständemehr gescheitert. Das Endresultat dürfte überraschend deutlich ausfallen. Gemäss Hochrechnung der SRG wird der Nein-Stimmenanteil 59 Prozent betragen.

Trotz des Neins werden straffällige Ausländerinnen und Ausländer in Zukunft automatisch des Landes verwiesen. Denn jetzt wird die vom Parlament beschlossene Umsetzung der Ausschaffungsinitiative in Kraft gesetzt.

Diese SVP-Initiative hatten Volk und Stände 2010 angenommen. Das Gesetz sieht ebenfalls automatische Landesverweisungen vor. Nur ausnahmsweise kann darauf verzichtet werden, um einen schweren persönlichen Härtefall zu vermeiden.

Über die Gründe für das Scheitern der Durchsetzunginitiative werden erst die Abstimmungsanalysen Aufschluss geben. Die starke Mobilisierung der Gegner in den letzten Wochen dürfte aber eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Parteien, Justiz, Wirtschaft, Medien und Kulturschaffende traten nahezu geschlossen gegen die Initiative an. Fast 300 amtierende und frühere Bundespolitiker richteten einen Appell an die Stimmbevölkerung. Wissenschaftler wagten sich aus dem Elfenbeinturm und mischten sich vernehmlich in die Politik ein. Kunstschaffende und Intellektuelle warnten eindringlich vor der Initiative.

Die öffentliche Debatte wurde über weite Strecken sachlich geführt. Breit wurde über abstrakte Begriffe wie Verhältnismässigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltentrennung diskutiert. Doch es gab auch Gehässigkeiten und schrille Töne in der Kampagne - etwa das zum Hakenkreuz degenerierte Schweizer Wappen.

Mit dem Nein kann der Bundesrat die vom Parlament beschlossene Umsetzung der Ausschaffungsinitiative in Kraft setzen. Er hat angekündigt, sich umgehend zum Zeitpunkt der Inkraftsetzung zu äussern. Weil die Kantone Zeit für die Einführung der neuen Bestimmungen brauchen, dürfte dies nicht vor 2017 der Fall sein.

Das klare Nein zur Durchsetzungsinitiative ist laut SVP ein Grund zur Sorge: «Die Härtefallklausel wird missbraucht werden», sagte Fraktionschef Adrian Amstutz im Radio SRF. Der Praxistest für das vom Parlament verabschiedete Ausschaffungsgesetz stehe noch aus. Er hoffe, dass seine Prognose nicht eintreffe, wonach Ausschaffungsentscheide der Richter weiterhin die Ausnahme als die Regel blieben.

«Gegner und Befürworter der Initiative sind sich alle einig darin, dass Schwerkriminelle ausgeschafft werden müssen», sagte auch der designierte SVP-Präsident Albert Röst. Die FDP habe von einer pfefferscharfen Umsetzung gesprochen - «wir nehmen sie beim Wort.»

Rösti erklärte die klare Niederlage seiner Partei damit, dass in den vergangenen Wochen die grosse Gegnerschaft angewachsen sei. «Viele hatten wohl den Eindruck, diese SVP dürfe nicht noch einmal gewinnen.» Zudem sei man sich beim Umgang mit Bagatelldelikten nicht einig geworden mit den Gegnern.

Das Nein und die Niederlage seien aber zu akzeptieren, sagte Rösti. «Die Debatte war sehr positiv, es ging um die Sicherheit der Schweiz.»

Dass die Durchsetzungsinitiative klar abgelehnt wird, hat laut dem Berner SP-Ständerat Hans Stöckli einen einfach Grund: «Wir haben die Ausschaffungsinitiative im Parlament umgesetzt», sagte er gegenüber Radio SRF. Das Gesetz müsse bald in Kraft gesetzt werden.

Stöckli hofft, dass das Gesetz zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative spätestens Anfang 2017 in Kraft tritt. «Die Kantone müssen noch an der kantonalen Gesetzgebung arbeiten.» Danach könne das Gesetz in der gesamten Schweiz seine Wirkung entfalten.

Ja für Gotthardröhre

Von den 17 bislang ausgezählten Kantonen hat keiner die zweite Strassenröhre durch den Gotthard abgelehnt. Gemäss Hochrechnung der SRG dürfte das Ja mit rund 57 schliesslich deutlich ausfallen.

Sogar der Kanton Uri, der bislang Ausbauvorlagen am Gotthard abgelehnt hatte, stimmte dem Tunnel mit 53 Prozent zu. Im Vorfeld der Abstimmung hatten sich Regierung und Parlament über die Parole gestritten, da die Regierung die Sanierungsvorlage ablehnte, das Parlament sie aber befürwortete.

Im Tessin zeichnet sich erwartungsgemäss ein deutliches Ja ab. Nach Auszählung von 64 der 135 Gemeinden sprachen sich bislang rund 61 Prozent der Tessiner Stimmberechtigten für den zweiten Stassentunnel aus.

Am höchsten fiel die Zustimmung bis jetzt im Autobahnkanton Aargau aus: 68 Prozent der Aargauerinnen und Aargauer wollten den zweiten Tunnel. Doch auch in Graubünden und Solothurn lag der Ja-Stimmenanteil über 65 Prozent. Am knappsten ist vorläufig das 50,2-Prozent-Ja aus dem Kanton Jura.

Gemäss Claude Longchamp vom Forschungsinstitut gfs.bern zogen die Argumente Sicherheit und «Tessin nicht abkoppeln». In den verschiedenen Sprachregionen dürfte die Vorlage indes unterschiedlich beurteilt werden, sagte Longchamp.

Jetzt nehmen die Gegner die Politiker in die Pflicht. «Sie müssen nun zu ihren Versprechungen stehen, dass es wirklich nur um eine Tunnelsanierung und keinen Kapazitätsausbau geht», sagt Jon Pult, Präsident der Alpen-Initiative, der sda. Auch Verkehrsministerin Doris Leuthard müsse beim Wort genommen werden.

Für die bürgerlichen Gegner einer zweiten Gotthardröhre ist klar: Nach dem heutigen Ja werden andere Strassenprojekte finanziell unter Druck geraten. «Wichtige Projekte in den Agglomerationen werden auf die lange Bank geschoben», sagte CVP-Ständerat Konrad Graber der sda.

In der Abstimmungsdebatte sei viel zu wenig über die finanziellen Aspekte gesprochen worden. «Das teure Ende wird aber noch kommen», prophezeit Graber.

Sorgen macht sich auch Isabelle Chevalley, Waadtländer Nationalrätin der Grünliberalen: «Wie können drei Milliarden für den neuen Tunnel ausgegeben werden, ohne Strassenprojekte in der Westschweiz zu bestrafen?»

Für den Gemeindepräsidenten von Airolo TI waren vor allem die Themen Sicherheit und nationaler Zusammenhalt entscheidend für das Resultat. Rund 76 Prozent der Stimmberechtigten in seiner Gemeinde stimmten Ja.

Vor allem die Betriebe der Gemeinde seien im Vorfeld der Abstimmung sehr besorgt gewesen, sagte der Sindaco Airolos, Franco Pedrini (CVP), am Sonntag auf Anfrage der sda. Sie fürchteten vor allem die Aussicht, auf dem Strassenweg über Jahre vom Rest der Schweiz abgeschnitten zu sein.

Ablehnung gab es dagegen in den Südtessiner Gemeinden: Am deutlichsten fiel das Votum in Castel San Pietro aus, wo rund 54 Prozent der Bevölkerung mit Nein stimmten.

Heiratsstrafe auf der Kippe

Die CVP-Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe dürfte laut SRG-Hochrechnung mit 50,5 Prozent knapp abgelehnt werden. Die grossen Kantone Zürich und Bern dürften den Ausschlag geben. Noch ist dass Rennen aber nicht gelaufen.

Die Hochrechnung der SRG von 15.00 Uhr zeigt, dass das Pendel mit den Ergebnissen aus Zürich und Bern auf die Nein-Seite kippen dürfte. Der Fehlerbereich liege jedoch bei plus-minus einem Prozent. Die Initiative könnte laut Claude Longchamp vom Forschungsinstitut gfs.Bern trotz Ständemehr und derzeitigem Ja-Anteil von gut 52 Prozent knapp am Volksmehr scheitern.

Die definitiven Ergebnisse in 22 Kantonen zeigen, dass 18 Kantone (JU, VS, AI, OW, NW, AG, GL, SO, ZG, UR, SZ, SG, LU, FR, TG, NE, SH, TI) die Initiative befürworten, während nur vier Kantone (BS, BL, GR, AR) Nein sagen.

Eine erste Hochrechnung für den Kanton Zürich zeigt, dass die CVP-Initiative mit einem Nein-Anteil von 56 Prozent abgelehnt werden dürfte. Auch der Kanton Genf sagt laut Zwischenresultaten mit 53,1 Prozent Nein zu dieser Vorlage. Gar wuchtig mit 60,5 Prozent Nein-Stimmen lehnte der Kanton Basel-Stadt diese Initiative ab.

Zuspruch findet die Initiative gegen die Heiratsstrafe dagegen in den Stammlanden der CVP. Der Kanton Luzern sagt mit 50,8 Prozent jedoch nur ganz knapp Ja zu der Vorlage. Das Feld der Befürworter wird von den bevölkerungsmässig kleinen Kantonen dominiert. Noch fehlen die grossen Kantone Zürich und Bern.

Abfuhr für Nahrungsmittel-Initiative

Die Initiative gegen die Nahrungsmittelspekulation ist am Ständemehr gescheitert.

Den Initianten gelang es in der letzten Phase vor der Abstimmung nicht, ihr Thema in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Das dürfte vor allem mit den anderen Vorlagen zu tun haben: Im Abstimmungskampf dominierten die Debatten zu Durchsetzungsinitiative, Gotthard und Heiratsstrafe. Die Urheber der Spekulationsstopp-Initiative hatten in diesem Kontext einen schweren Stand.

Mit dem Nein ist das Thema indes nicht vom Tisch. Die Regulierungspläne in anderen Ländern haben den Bundesrat und das Parlament dazu bewogen, Vorkehrungen zu treffen. Eine Klausel im neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetz gibt dem Bundesrat die Kompetenz, Positionslimiten für Warenderivate einzuführen - eine Obergrenze für die Anzahl solcher Finanzinstrumenten, die ein einzelner Marktakteur halten darf.

Allerdings ist offen, ob und wann der Bundesrat von der Kompetenz Gebrauch macht. Er wolle sich an der internationalen Entwicklung orientieren, sagte Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann im Vorfeld der Abstimmung. In der Pipeline ist ausserdem die Konzernverantwortungsinitiative der Hilfswerke. Sie will Konzerne mit Sitz in der Schweiz zur weltweiten Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltschutzstandards verpflichten.

Hinter der Spekulationsstopp-Initiative standen die JungsozialistInnen (JUSO), SP, Grüne, Hilfswerke und Bauernorganisationen. Sie wollten nicht nur die Macht einzelner Akteure beschränken, sondern spekulative Finanzgeschäfte verbieten, die sich auf Agrarrohstoffe oder Nahrungsmittel beziehen.

Auslöser war die Finanzkrise, die dazu führte, dass Akteure auf solche Geschäfte auswichen. Gleichzeitig stiegen die Preise mancher Nahrungsmittel stark an. Die Initianten sehen einen Zusammenhang. Sie gehen davon aus, dass die Spekulation zu steigenden Nahrungsmittelpreisen führt und damit zum Hunger auf der Welt beiträgt.

JUSO-Präsident Fabian Molina verlangt denn auch, dass die Positionslimiten im neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetz aktiviert werden. «Wir nehmen die Gegner jetzt beim Wort.» Zudem fordert er, die Entwicklungshilfe nicht zu kürzen. «Eine Kürzung wäre ein Hohn», sagte Molina.

Urs Reinhard von der Föderation Schweizerische Nahrungsmittel-Industrien begrüsst das Nein der Schweizer Stimmbevölkerung. Es sei unklar gewesen, ob die Initiative überhaupt einen positiven Einfluss auf den Welthunger gehabt hätte, sagte Reinhard auf Anfrage. «Für die Unternehmen hätte sie aber einen hohen Aufwand und viele Unsicherheiten mit sich gebracht.»

Als Grund für das klare Resultat sieht er einer einerseits die erfolgreiche Gegenkampagne. «Den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern hat wohl eingeleuchtet, dass die Verknüpfung von Spekulation als Grund für den Welthunger zu kurz greift». Zudem dürfte das isolierte Vorgehen der Schweiz in dieser Thematik nicht als sinnvoll gewertet worden sein.

veröffentlicht: 28. Februar 2016 13:23
aktualisiert: 28. Februar 2016 17:57
Quelle: SDA

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