Mit dem Pinsel im Mund zur Kunst

25.11.2016, 14:54 Uhr
· Online seit 23.11.2016, 06:07 Uhr
Dass mit Mund oder Füssen gemachte Bilder nicht schlechter sein müssen als solche, die mit den Händen gemalt wurden, beweist eine aktuelle Ausstellung in der Tonhalle St.Gallen. Dort sind bekannte Maler mit Handicap am Werk. Und zeigen nicht nur ihr Können, sondern auch ihr Lebensverständnis.
Claudia Amann
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Menschen, die ihre Gliedmassen nicht mehr nutzen können, meistern ihr Leben oft mit einer bewundernswert würdevollen Einstellung. Viele trotzen ihrem Schicksal mit einer schier unendlich scheinenden Kreativität und Kraft. Und etliche arrangieren sich nicht nur mit ihrem Handicap, sondern ersetzen die fehlenden Teile oder Funktionen ihres Körpers mit anderen Mitteln. Bei Menschen, die mit ihren Händen nicht mehr malen können, sind es Mund und Füsse, die zum Einsatz kommen.

Die Schweizer Künstlerin Bracha Fischel erkrankte mit 37 Jahren an rheumatischer Arthritis, in deren Folge ihre Wirbelsäule und Gelenke stark beeinträchtigt waren. Als Folge konnte sie ihre Gelenke und Glieder nicht mehr nutzen. Während des Aufenthalts in einer Rehaklinik entdeckte sie ihr Talent für Malerei - und die Kunst wurde zur Passion. Die Mutter von zwei Töchtern erlernte mit einer Lehrerin die Grundlagen der Malerei, Pinsel und Stift mit den Zähnen zu führen. Nach einem intensiven Selbststudium perfektionierte sie ihre Techniken und schloss einen akademischen Malerei-Fernkurs erfolgreich ab.

Der Humor ist immer dabei

Bracha Fischel stellt von 25. bis 27. November mit anderen mund- und fussmalenden Künstlern in der St.Galler Tonhalle aus. Die zeitgenössische Kunstausstellung, die gezeigt wird, wird mit einem Workshop und einer Hommage an den 2014 verstorbenen St.Galler Künstler und Mundmaler Klaus Spahni ergänzt.

«In der Rehaklinik ist mir noch oft der Pinsel aufs Bett gefallen», erinnert sich die heute 57-Jährige schmunzelnd. «Natürlich nicht, ohne einen Klecks Farbe auf dem Laken zu hinterlassen.» Auch heute als Profi im Mundmalen müsse ihre Familie noch manchmal einen Pinsel vom Boden aufheben. «Doch wir nehmen das alles mit viel Humor», sagt Bracha Fischel.

Dank der Unterstützung ihrer beiden Töchter kann die Schweizer Künstlerin überall hinreisen. Im Gepäck immer ihre Farben - und Ideen für neue Bilder. «Wichtig ist mir, dass ich auch selbständig malen kann», sagt sie. «Dank meiner Staffelei, die als Sonderanfertigung elektrisch gesteuert wird und spezielle Vorrichtungen für den Wasserbehälter und die Ablage hat, kann ich auch gut alleine gelassen werden.»

Mentale Grenzen öffnen

Die Schweizerin gehört der Genossenschaft mund- oder fussmalender Künstler (GMFK) an, die 1959 als Selbsthilfeorganisation gegründet wurde. Die GMFK fördert und unterstützt Künstlerinnen und Künstler, die aufgrund einer Behinderung nur mehr mit dem Mund oder Fuss malen können, sich künstlerisch zu betätigen und zu entfalten. Mit der Reproduktion der Werke und deren Verkauf in Form von Kunstkarten und Kalendern sowie durch Ausstellungen wie die derzeit stattfindende in der Tonhalle St.Gallen, können sich die Künstler der Öffentlichkeit mitteilen. Herkömmliche Wege werden ihnen durch ihre Behinderung oft verschlossen.

Aus den Überschüssen der Verkäufe können existenzsichernde Zahlungen an die Künstler geleistet werden. Sie leben damit aus dem Ertrag ihrer eigenen Arbeit und dies weitgehend unabhängig von anderen Sozialwerken.

Heitere Lebensgestaltung

Auch der Präsident der weltweiten Organisation der mund- und fussmalenden Künstler (VDMFK) ist derzeit in St.Gallen anwesend. Serge Maudet ist ein charmanter Franzose. 1954 wurde er mit gelähmten Armen und Beinen geboren. Und schon in seiner frühen Kindheit lernte er, mit dem Mund einen Stift zu halten. «Meine Eltern haben das nicht forciert, aber akzeptiert», erzählt er im Foyer der Tonhalle. «Malen war meine erste Ausdrucksform.»

Maudets Engagament, seine aussergewöhnliche Lebensfreude und Vitalität, haben ihn einen Weg gehen lassen, auf dem sich hunderte Künstler begegnet sind. Er fördert Workshops für Kinder, in denen Toleranz nahegebracht und gezeigt wird, dass man sich auch ohne Arme und Beine ausdrücken und schöne Dinge gestalten kann. Mit seinen Werken ist er weltweit in verschiedenen Ausstellungen vertreten - und noch lange nicht mit seinem Enthusiasmus am Ende. «Wir haben ein Recht auf Optimismus», sagt er.

In den Werken der mund- fussmalenden Künstler findet sich jedenfalls kein Hinweis auf die Barrieren der Kunstschaffenden. Das Gespür für Farbe und Form kann bewiesenermassen mit verschienenen Körperteilen umgesetzt werden. «Grenzen gibt es keine», betont Bracha Fischel in dem Zusammenhang. «Wir machen uns nur selbst welche.» Für sie jedenfalls sei die Kunst «einfach alles».

TVO hat sich in der Tonhalle umgeschaut

Portrait der fussmalenden Künstlerin Antje Kratz

veröffentlicht: 23. November 2016 06:07
aktualisiert: 25. November 2016 14:54

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