«Löhne sind bestimmt nicht zu hoch»

23.02.2017, 22:33 Uhr
· Online seit 23.02.2017, 18:06 Uhr
Während die einen die Löhne der Gemeindepräsidenten nachvollziehen können, ist bei anderen die Frustration riesig. Wir haben deshalb bei einem Experten nachgefragt. Der ist klar der Meinung: Im Vergleich zur Privatwirtschaft sind die Löhne tief.
Lara Abderhalden
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«Wie kann jemand, dessen Tätigkeit man nicht einmal einschätzen kann, doppelt so viel verdienen wie ich?», fragt sich ein User auf Facebook. Ein anderer rechnet aus: «Verdient jeder der 77 Gemeindepräsidenten nur 180'000 Franken, sind das 13'860'000 pro Jahr! Fast 14 Millionen unserer Steuergelder, die wir für die Gemeindepräsidenten bezahlen.»

Sind die Löhne nun völlig überrissen oder nachvollziehbar? Um eine neutrale Einschätzung zu machen haben wir Max Schnopp, einen internationalen Headhunter und Wirtschaftsexperte zur Seite gezogen. Und er ist klar der Meinung: «Zu hoch angesetzt sind die Löhne ganz bestimmt nicht.»

Warum die Löhne tief angesetzt sind

Max Schnopp hat schon viele Schweizer KMUs aber auch Verwaltungen beraten und kennt sich mit der Schweizer Lohnpolitik aus. «Als erste Überlegung habe ich die Löhne der Geschäftsführer kleinerer, mittlerer und grösserer KMUs in der Ostschweiz mit den Löhnen der Gemeindepräsidenten verglichen», dabei zeige sich ein erstaunliches Bild: «In einem kleineren KMU mit rund 30 Angestellten verdient der Geschäftsführer 140'000 bis 170'000 Franken, in einem mittleren 170'000 bis 250’0000 und in einem grossen KMU bis zu 350'000 Franken.» Setzt man diese Löhne ins Verhältnis zur Entlöhnung der Gemeindepräsidenten, seien die Löhne in den Gemeinden tief angesetzt. «Nimmt man beispielsweise Thomas Scheitlin, der die grösste Gemeinde, die Stadt St.Gallen, unter sich hat und vergleicht ihn mit einem CEO eines Grossunternehmen, verdient er deutlich weniger.»

Natürlich könne man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Es gibt Unterschiede zwischen der Privatwirtschaft und der Verwaltungsebene. Dennoch müsse man als Führungskraft eines Unternehmens und als Gemeindepräsident viel Energie und Zeit aufwenden: «Rechnet man die gesamte Zeit aus, in der ein Gemeindepräsident öffentlich auftreten muss, sind das viele Extrastunden. Er muss an jede ‹Hundsverlochete› gehen. Es ist eine unglaublich zeitintensive Funktion.» Max Schnopp ist klar der Meinung, dass sich die Löhne im unteren Mittel befinden, wenn man Aufwand und Ertrag ins Verhältnis setzt.

Dieser Meinung sind jedoch nicht alle St.Galler, wie der Beitrag von TVO zeigt:

Warum Gemeindepräsidenten ein grösseres Risiko tragen

Hinzu komme das Risiko, mit welchem ein Gemeindepräsident leben muss. «Ein Gemeindepräsident muss gewählt werden. In einem KMU hat man eher die Sicherheit, dass man bleiben darf.» Wenn man dieses Risiko in den Lohnvergleich mit einbezieht, dann sei klar festzustellen, dass die Gemeindepräsidenten nicht zu hoch entlöhnt werden.

Vergleicht man die Löhne mit anderen Kantonen wie beispielsweise Zürich, sind sie zum Teil tiefer, aber: «Auch in Zürich gibt es Gemeinden die grösser sind, in denen der Gemeindepräsident aber weniger verdient», es gebe diese Unterschiede in allen Kantonen und es komme immer auch auf das generelle Lohnniveau im Kanton an.

Zusätzlich spielt, wie in der Privatwirtschaft auch, der Erfolg einer Gemeinde eine Rolle, wie viel ein Gemeindepräsident verdient: «Es ist keine sichere Aussage, aber in erfolgreichen Gemeinden wie beispielsweise Mörschwil - eine sehr steuergünstige Gemeinde - kann auch mehr Lohn bezahlt werden.» In diesem Punkt können die Gemeinden mit der Privatwirtschaft verglichen werden. Die Untersuchungen würden zeigen, dass je erfolgreicher eine Gemeinde ist, desto besser ist die Entlöhnung des Präsidenten: «Eine Unternehmung die nicht erfolgreich ist und sich eher in Richtung Verlust bewegt - dort sind auch die Löhne tiefer und es gibt keinen, beziehungsweise nur einen kleinen Bonus.»

Ist die Lohntransparenz eine Chance oder ein Fluch?

Wie gut ist nun diese neu geschaffene Transparenz auf Gemeindeebene für die Wirtschaft? Sind Gemeinden eher frustriert oder motiviert? Für Max Schnopp ist klar: «Es ist wahnsinnig gut, wenn man transparent ist. Diesen Anspruch sollte man auch an die Privatwirtschaft haben.» Die Erfahrungen von Max Schnopp würden zeigen, dass Unternehmen welche eine offene Lohnpolitik betreiben, erfolgreicher sind: «Ich habe ein Unternehmen betreut, in welchem ein normaler Mitarbeiter gleich viel verdient wie das Kader. Das ist ein Erfolgsmodell. Transparenz schadet nie.»

Die Lohntransparenz schaffe überdies einen Lohnanreiz: «Heute zahlen Verwaltungen und auch der Bund zum Teil so gut, dass sich Kadermitglieder erfolgreicher Firmen überlegen in die Verwaltung zu wechseln.» Dadurch habe man hoch qualifizierte Personen, die in den Verwaltungen tätig sind.

Dass der Frust bei der Bevölkerung über die Löhne der Gemeindepräsidenten da ist, bestreitet Max Schnopp nicht: «Ich kann mir vorstellen, dass der Frust bei der Bevölkerung grösser ist, weil sie den Präsidenten ja mitfinanzieren. Klar, kommt ein Durchschnittsbürger niemals auf dieselbe Salärstufe und das sorgt für böses Blut.» Vor allem, wenn ein Gemeindepräsident beispielsweise eine schlechtere Ausbildung habe und trotzdem mehr verdient.

Persönlich glaubt Max Schnopp aber, dass die Transparenz keine negativen Folgen auf die Wirtschaft hat. Zwar herrsche anfangs immer eine leichte Frustration, diese verschwinde aber wieder.

Sind Gemeindepräsidenten überhaupt noch motiviert?

Auf der Gegenseite steht die Frage nach dem Nachwuchs. Sind Politiker überhaupt noch interessiert, zu diesen, laut Experten, eher tiefen Lohnverhältnissen ein Gemeindepräsidium zu übernehmen? «Normalerweise müsste so ein Lohn abschreckend wirken», sagt Max Schnopp ehrlich. Übernimmt man einen Posten als Gemeindepräsident, gehe es primär nicht um das Gehalt. «Als Gemeindepräsident will man sich politisch engagieren, mitwirken.»

Und hier liege der Unterschied zur Privatwirtschaft: «In der Privatwirtschaft kann ich nicht wie in einem politischen Amt für meine Partei einstehen. Als Gemeindepräsident kann ich etwas bewirken und das ist die Entschädigung für die vielen Stunden, die man an ‘Hundsverlocheten’ verbringt.»

veröffentlicht: 23. Februar 2017 18:06
aktualisiert: 23. Februar 2017 22:33
Quelle: abl

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