Wegen tödlicher Teufelsaustreibung verurteilt

09.03.2018, 20:54 Uhr
· Online seit 09.03.2018, 19:49 Uhr
Mit einem bizarren Tötungsdelikt befasst sich am Freitag das Bezirksgericht Frauenfeld: Ein 50-jähriger Mann wird beschuldigt, seine Tochter derart misshandelt zu haben, dass sie starb. Es soll sich um eine «Dämonenaustreibung» gehandelt haben.
Laurien Gschwend
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Stefan Hilzinger/St.Galler Tagblatt

Das Stroh in der Puppe knirscht hörbar. Fünfmal lässt Gerichtspräsident Rudolf Fuchs Ausschnitte aus dem Polizeivideo der Rekonstruktion der Tat vorspielen. Man sieht, wie der Vater die Puppe mit den Füssen bearbeitet. Erst liegt sie auf dem Rücken, dann auf dem Bauch. Der Vater steht mit den Füssen auf ihr. Tritt von oben herab mit Schwung auf ihren Bauch. Die Puppe liegt am Boden der Wohnung in Wagenhausen, stellvertretend für seine damals 25-jährige Tochter, die am Abend des 2. Januar 2016 dort an inneren Verletzungen starb.

«Eine Massage mit unglücklichem Ausgang»

Der Vater, Beschuldigter im Tötungsfall, und sein Verteidiger sprechen vor dem Bezirksgericht Frauenfeld von einer Massage mit zugegeben unglücklichem, tödlichen Ausgang. «Ich drücke mein Bedauern aus», sagt der 50-jährige Mann ohne ersichtliche Emotionen. Sein Verteidiger plädiert auf fahrlässige Tötung und beantragt drei Jahre Haft. Der Vater habe eine Massage ausgeführt, auf Wunsch der Tochter, und mit dosierter Kraft.

Der Staatsanwalt dagegen greift zu einem drastischen Vergleich: Mit seinen heftigen Tritten und der Drehbewegung mit der Ferse habe der Vater seine Tochter tödlich verletzt, «wie wenn jemand eine Schabe zu Tode tritt und mit einer Drehung des Absatzes sicher sein will, dass sie auch wirklich tot ist».

Die Tochter, kleinwüchsig und geistig behindert, kannte ihren leiblichen Vater damals seit rund zweieinhalb Jahren. Seit sie ihn ausfindig gemacht hatte, verbrachte sie immer wieder Zeit mit ihm, so auch den Jahreswechsel 2015/2016 in der Wohnung des gemeinsamen Freundes in Wagenhausen. Vater und Tochter stammen aus der Region Ravensburg. Wie ihr gemeinsamer Freund ist der Vater Anhänger der Mittelalterszene mit einem Hang zum Okkultismus. Der Freund bezeichnet sich als Geisterheiler, der auch schon Dämonen ausgetrieben habe. Der Vater stellt vor Gericht in Abrede, eine Dämonenaustreibung vorgenommen zu haben. Die Tochter selbst habe ihn gebeten, sie zu massieren. Sie sei «aggro», aggressiv, gewesen, mit der Massage habe er sie entspannen wollen.

«Eine Form von gewalttätigem Exorzismus»

Der Staatsanwalt und auch der Anwalt von Mutter und Bruder sprechen dagegen von gewalttätigem Exorzismus. Sie können sich nicht vorstellen, wie die massiven inneren Verletzungen – wie der Abriss des Zwölffingerdarms, die Zertrümmerung der Leber, der Abriss der rechten Nierenarterie sowie diverse Quetschung und Blutergüsse – haben entstehen können, wenn die angebliche Massage doch mit wohldosierter Kraft ausgeführt worden sei.

Der Staatsanwalt und der Anwalt der Mutter nehmen dem Vater auch nicht ab, dass die Tochter während der rund halbstündigen Prozedur keinerlei Schmerz gezeigt haben soll. «Das ist nicht nur unglaubwürdig. Es ist völlig unmöglich», sagt der Anwalt der Mutter. Der Staatsanwalt beantragt eine unbedingte Haftstrafe von 14 Jahren wegen eventualvorsätzlicher Tötung. Eingerechnet ist hier der Vorwurf der Schändung oder der Störung des Totenfriedens. Der Vater hatte die möglicherweise schon tote Tochter mit den Fingern vaginal und anal penetriert. Wie der Vater angibt, habe er die Tochter so durch eine «Stimulation des ersten Chakras» wiederbeleben wollen. Der Vater habe den Tod in Kauf genommen, sagt der Staatsanwalt. Der Vater hätte wissen müssen, gerade weil er medizinische und anatomische Kenntnisse habe, dass heftige Tritte und Schläge zum Tod führen können. Zudem habe er es unterlassen, nach dem Zusammenbruch der Tochter Hilfe zu holen.

Als einziges Motiv für die Handlungen des Vaters sieht der Staatsanwaltschaft die Absicht, der arg- und wehrlosen Tochter mit Gewalt seinen Willen aufzuzwingen. Der Freund der Tochter sei ihm nicht genehm gewesen, ebenso ihr Wunsch, ein Kind zu bekommen. Nicht gepasst habe dem Vater auch, dass die Tochter für sich ein Bankkonto eröffnen wollte.

Nach gut dreistündiger Beratung verkündet die Gerichtsschreiberin am Freitagabend das Urteil: «Neun Jahre Haft wegen eventualvorsätzlicher Tötung.» Nicht schuldig sei der Vater wegen Schändung respektive Störung des Totenfriedens.

Unter Inkaufnahme der tödlichen Verletzungen

«Es kann nicht von Massage die Rede sein, sondern von einer Behandlung, einer Misshandlung», sagt der Gerichtspräsident in der Begründung. «Wer so auf jemandem herumstampft, kann nicht davon ausgehen, dass die Person nicht zu Schaden kommt.»

Der Beschuldigte habe die Tritte zwar nicht mit dem Willen ausgeführt, die Tochter zu töten, doch er habe schwerste Verletzung, ja den Tod in Kauf genommen. Der Eventualvorsatz ist für das Gericht gegeben. Das Strafmass ist unter anderem tiefer als vom Staatsanwalt gefordert, weil das Gericht dem Beschuldigten eine leicht bis mittel verminderte Schuldfähigkeit zubilligt. Gegen das Urteil läuft eine zehntägige Berufungsfrist.

Fragwürdige Interpretation einer alten Methode

Zuletzt lebte der Vater in Deutschland in einer Wohnung für Obdachlose. Er ist bald 51 Jahre alt, hat keinen Beruf gelernt und sich mit Arbeiten auf dem Bau durchgeschlagen. In Deutschland ist er vorbestraft, viermal wegen Drogendelikten einmal wegen Körperverletzung an seiner Mutter. Er verkehrt, wie der damalige Freund aus Wagenhausen, in der Mittelalterszene und interessiert sich nach eigenen Angaben für Geschichte, Psychoanalyse und auch für Medizin. Ein Gutachten stellt eine Persönlichkeitsstörung mit Hang zum Narzissmus fest. Er zeige paranoide und sadistische Züge, zitiert der Staatsanwalt.

Schon am Neujahrstag habe er seine Tochter auf ihren Wunsch mit den Füssen massiert, sagt der Vater vor Gericht. Woher er die Technik kenne, will Richter Rudolf Fuchs wissen. Er habe sich die Technik aus alten Büchern selbst beigebracht, antwortet der Vater. Aus welchem Buch? Das wisse er nicht mehr, es sei verbrannt. Auch die Chakra-Massage zu Wiederbelebung habe er sich selbst beigebracht.

Der Staatsanwalt lässt im Gericht ein Youtube-Video vorführen. Darin ist eine Padabhyanga zu sehen, eine alte indische Fussmassage-Methode, bei der sich die Masseurin mit den Händen an Holmen an der Decke festhält, um die Kraft zu dosieren. Er habe die Kraft gesteuert, indem er sich an einem Gestell abstützte, sagt der Vater. Damit habe er aber nicht weniger, sondern sogar mehr Kraft ausgeübt, sagt der Staatsanwalt. Die Tochter habe verlangt, dass er an gewissen Stellen mehr Druck ausübe, sagt der Vater. (hil)

Dieser Artikel erschien am 9. März zuerst auf tagblatt.ch.

veröffentlicht: 9. März 2018 19:49
aktualisiert: 9. März 2018 20:54

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