Hommage

Roxette, ihr geilen Säue!

10.12.2019, 17:44 Uhr
· Online seit 06.06.2016, 15:31 Uhr
«Hello, you fool, I love you!» – so stiegen Roxette einst in den Pop-Olymp auf. Nun, fast 30 Jahre später, ist die Sängerin Marie Fredriksson nach langer Krankheit gestorben. Roxette waren genial, genial mittelmässig. Eine Huldigung. Nein! Eine Liebeserklärung.
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Ja, nein, vielleicht – diese zerknüllten Zettelchen steckten wir uns gelegentlich unter der Schulbank zu. Verlegen schielten die Augen seitwärts, ein kurzer Blickkontakt, denn wir hofften so sehr, dass die Angebetete zumindest «vielleicht» ankreuzen würde. Sie hatte ja schliesslich die Auswahl. Multiple Choice! Wow!

Rückblickend: Es war schrecklich. Immerhin unbekümmert, aber schrecklich. Und irgendwo in diesem Strudel des Erwachsenseinwollens traten sie in mein Leben. Per Gessle und Marie Fredriksson: Roxette, das Pop-Duo aus Schweden. Das Album dazu hiess «Joyride». Eine unverschämt gute Pop-Idee. Nach wenigen Wochen war die CD-Hülle zerkratzt, das Textbüchlein abgenutzt, die Melodien verinnerlicht. «Things will never be the same», sang Marie Fredriksson da und sie würde recht behalten.

Roxette waren hochgradig uncool

Zu jeder halbwegs anständigen Schülerdisco gehörte «Listen To Your Heart». War die Kuschelrock-CD zur Hand, war der Abend – ähm, sorry – der Nachmittag im abgedunkelten Keller gerettet. Ein bisschen klammern zur Balladen-Flut aus den viel zu lauten Boxen. Ein bisschen schmusen, aber ohne Zunge. Wehe!

Roxette waren dabei, als wir all das erlebten. Trotzdem: Roxette waren nie cool. Hätte es das Hipstertum in den 90ern schon gegeben, es hätte diesen Pop-Einheitsbrei abgrundtief gehasst. Roxette lieferten glattpolierte Hits. Nichts für den Lifestyle, nichts für den Musik-Sachverständigen. 

Roxette-Alben versteckte man im Regal. Wenn Freunde vorbeikamen, kramte man die Alben der wirklich coolen Bands hervor: Oasis, Blur, Nirvana, Radiohead. Herrje, das machte Eindruck. Wer wollte schon zugeben, dass er auf einfache Popsongs mit zuckrigen Melodien steht. Ich habe ihn trotzdem abgöttisch geliebt, diesen einen Song auf dem Album «Crash! Boom! Bang!». Herrlich melodiös. Ein Gitarrenriff, das ich damals (kein Witz!) für richtigen «Rock‹n‹Roll» hielt. Ein mehrstimmiger Refrain, der sich in die hinterletzte Hirnwindung gräbt. «Checkin› in, checkin› out! Making love, I like watching all your fireworks.» Ich liebte den Song wirklich, auch wenn ich mir dessen banalen Inhalts wohl kaum bewusst war. Echt jetzt? Liebe machen, da ich gerne dein Feuerwerk sehen möchte? Wie jetzt? Egal. Das war eine Offenbarung. So geht Popmusik. Strophe – Bridge – Mega-Refrain.

Gutes Karma

Roxette waren «Pop». Durchschaubar, berechenbar und dazu handzahm. Einen Hehl haben sie nie daraus gemacht. Sympathisch. Keine tiefschürfenden Texte, keine politischen Statements, keine historischen Momente, für die sie den Soundtrack geliefert hätten.

Das letzte Roxette-Album erschien im Sommer 2016. Zum Abschied gab es «Good Karma» und es war mittelmässig. Zum Glück! 

Nein! Keine Superhits mehr. Kein «The Look» und kein «Fading Like a Flower». Nein! Auch die grossen Posen waren passé. Als ich Per Gessle vor ein paar Jahren zum Interview traf, meinte er: «Wir sind mittlerweile komplette Outsider im Musikbusiness. Keine Erwartungen, kein Druck mehr. Das ist ein verdammt gutes Gefühl. Ich liebe es.»

Wie konnte man die beiden Schweden nicht lieben? Für all diese harmlosen und trotzdem glänzenden Pop-Perlen. Für die wuchtigen Mitsing-Refrains. Für den Soundtrack der 90er. Für die erfrischend altbackenen Songs auch Jahre später. Und nun? Youtube. Roxette in der Endlosschlaufe. Heute sowieso. «Checkin' in, checkin' out!». 

veröffentlicht: 6. Juni 2016 15:31
aktualisiert: 10. Dezember 2019 17:44
Quelle: FM1Today

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