Schweizer gehen nicht mehr zum Beck

· Online seit 24.03.2018, 05:56 Uhr
Über 70 Jahre war die Bäckerei Joos in Untervaz im Familienbetrieb. Nun muss die letzte und einzige Untervazer Backstube schliessen - wie so viele andere in der Schweiz.
Dario Brazerol
Anzeige

«Schon mein Vater hat in dieser Bäckerei eingekauft. Als Kind hat man sich im Sommer immer ein Glacé geholt, am Wochenende gab es Stückli. Diese Traditionen wird es jetzt nicht mehr geben», sagt eine wehmütige Untervazerin. Nach über 70 Jahren im Familienbetrieb konnte kein Nachfolger für die Bäckerei Joos gefunden werden. Die definitive Schliessung folgt Ende Monat. «Es ist traurig», sagt die Besitzerin Martina Joos. Einer der Gründe für das Ende der Bäckerei: der Kundenrückgang, verursacht durch die immer grösser werdende Konkurrenz durch den Grosshandel.

«Vaz ohne Bäckerei ist kein Vaz»

«Unsere Kunden sind vor allem ältere Leute und junge Frauen, die schon als Kind mit ihrer Mutter in die Bäckerei gekommen sind», sagt Joos. Nicht genug, um das Geschäft am Laufen zu halten und nicht genug, um einen potentiellen Nachfolger von einer Übernahme zu überzeugen. «Wir haben lange gehofft, dass jemand das Geschäft übernimmt - ohne Erfolg.» Wie der Bäckerei Joos ergeht es aktuell vielen Bäckereien. In der Schweiz gibt es rund 300 Filialen, die einen Nachfolger suchen. Das Problem: Es gibt bloss 90 potentielle Pächter. «Vor allem im ländlichen Raum ist die Nachfolgeregelung eine grosse Herausforderung», sagt Urs Wellauer, Direktor des Verbandes Schweizer Bäcker und Confiseure.

Konsumverhalten unklar

«Durch den Markteintritt von ausländischen Discountern vor rund 15 Jahren ist ein starker Wettbewerb entstanden.» Machten die gewerblichen Bäckereien im Jahr 2000 noch 50 Prozent Marktanteil aus, sind es heute nur noch 25 Prozent. In der selben Zeit hat sich die Anzahl importierter Backwaren verdreifacht. Um die genauen Zahlen über den Brotkonsum von Herrn und Frau Schweizer zu erheben wollte BDP-Nationalrat Lorenz Hess im letzten Jahr die Brotkonsumstatistik wieder einführen lassen. Der Vorstoss wurde jedoch vom Bundesrat abgeschmettert. Der finanzielle Aufwand sowie der personelle Ressourcenbedarf sei zu gross, heisst es in der offiziellen Erklärung des Bundes. Mit dieser Statistik könnte neben dem Unterschied von gewerblicher Bäckerei und Discounter auch der Einfluss des Einkaufstourismus ermittelt werden. Dieser ist vor allem in den grenznahen Gebieten, wie der Ostschweiz und Graubünden, eine starke Belastung für die gewerblichen Betriebe.

Abwärtstrend erkennbar

Die Bäckerei Joos ist nur eine von rund 40 Filialen, die alleine in den letzten zwei Jahren, schweizweit schliessen musste. Ein Abwärtstrend der sich laut Wellauer wahrscheinlich fortführen wird: «Wir rechnen damit, dass in den nächsten zehn Jahren noch rund 300 weitere Bäckereien schliessen müssen.» Die grösste Herausforderung, um in Zukunft als gewerbliche Bäckerei überleben zu können, wird laut Wellauer, sich klar in einer Nische zu positionieren. «Die Bäckereien haben noch immer einen klaren Vorteil gegenüber den Discountern: Es ist Persönlich. Für viele ist das immer noch sehr wichtig.»

Ein Stück Tradition

Die Dorfbewohner sind sich bewusst, dass sie ihren Beitrag zum Ende der Bäckerei Joos geleistet haben: «Klar habe ich auch Mal im Grosshandel mein Brot gekauft. Mir ist klar, dass ich das Problem mitverursacht habe», sagt eine Untervazerin. Im Dorf habe man lange gehofft, es würde sich ein Nachfolger für die Familie Joos finden, auch weil die Bäckerei schon seit Jahrzehnten nicht mehr aus dem Dorfbild wegzudenken ist. Ein Dorfbild, welches im nächsten Sommer sicher ein anderes sein wird. Denn die Untervazer Kinder werden sich ihr Glacé einem neuen Ort kaufen - wahrscheinlich im Discounter.

veröffentlicht: 24. März 2018 05:56
aktualisiert: 24. März 2018 05:56
Quelle: dab

Anzeige
Anzeige