Stimmpflicht würde SVP ins Schwitzen bringen

04.11.2015, 17:54 Uhr
· Online seit 04.11.2015, 17:16 Uhr
Die Stimmbeteiligung bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen lässt in der Schweiz zu wünschen übrig. Würde man eine nationale Stimmpflicht einführen, so dürfte vor allem die Linke davon profitieren. Zu diesem Schluss kommt eine Studie unter Mitwirkung der HSG.
Marco Latzer
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Die Schweiz ist politisch mit vielen Privilegien gesegnet: Ob Kampfjet-Kauf, Verlängerung der Ladenöffnungszeiten, zweite Röhre am Gotthard oder Erhöhung der Mehwertsteuer; über all diese Themen wird hierzulande demokratisch an der Urne abgestimmt. Um diese Möglichkeiten in der politischen Meinungsäusserung werden Schweizer Stimmbürger im Ausland beneidet. Dumm nur, dass die Stimmbeteiligung schon lange zu wünschen übrig lässt. Seit 1950 liegt diese durchschnittlich bei 45 Prozent. Mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten verzichtet damit freiwillig auf ihr weltweit absolut einzigartiges Stimmrecht.

Schaffhausen macht es vor

Immer werden daher insbesondere von politisch links stehenden Politikern Forderungen laut, eine nationale Stimmpflicht einzuführen und Nicht-Abstimmen unter Strafe zu stellen. Momentan ist der Kanton Schaffhausen der einzige Kanton, der eine solche Regelung kennt. Wer seine Unterlagen nicht rechtzeitig einschickt oder einwirft, wird mit sechs Franken Busse bestraft. Dieses Modell zeigt Wirkung: 60 Prozent aller Schaffhauser nehmen am politischen Prozedere teil - ein nationaler Spitzenwert.

Was würde also passieren, wenn man die Schaffhauser Regelung auf alle anderen Kantone übertragen würde? Dieser Frage gingen Wissenschaftler der London School of Economics und der Hochschule St. Gallen nach. Einen Forschungsschwerpunkt stellte dabei die politische Geschichte des Kantons Waadt dar: Dort wurde zwischen 1925 und 1948 jedermann mit zwei Franken gebüsst, der nicht an die Urne ging.

In der Woche nach den Abstimmungen ging jeweils die Polizei von Tür zu Tür und trieb die Bussen ein. Mit Erfolg: Die Stimmbeteiligung nahm durch die Stimmpflicht laut der Studie um durchschnittlich 33 Prozentpunkte zu und stieg auf bis zu 90 Prozent. Ein voller «demokratischer» Zwangserfolg, wenn man so will.

Linke profitieren eher

Dabei offenbarte sich ein markanter Linksrutsch: Linke Vorlagen erhielten eine durchschnittlich um 19 Prozentpunkte höhere Zustimmung. Zahlen aus anderen Kantonen mit zeitweiser Stimm- und Wahlpflicht zeigen ähnliche Ergebnisse. Dies legt laut den Forschern den Schluss nahe, dass sich die Erkenntnisse auch auf die heutige Zeit übertragen lassen.

Allerdings nur mit gewissen Abstrichen: Während Stimmbürger mit geringem Einkommen und Bildungsstand früher viel häufiger links wählten, ist heute die SVP bei diesen Wählersegmenten die wählerstärkste Partei. Während 1995 noch 22 Prozent der Personen mit einem Einkommen von bis zu 3000 Franken pro Monat SP wählten, waren es bei den Nationalratswahlen 2011 noch 12 Prozent - die SVP kam dagegen auf eindrückliche 42 Prozent.

Das lässt die Autoren zu dem Schluss kommen, dass das linke Lager zwar tendenziell mehr von einer solchen Regelung profitieren und insbesondere bei sozialen Themen und Umverteilungsvorlagen die Nase eher vorne haben würde, die SVP dagegen bei eher «emotionalen» Themen wie beispielsweise Ausländerfragen profitiert. (red)

 

veröffentlicht: 4. November 2015 17:16
aktualisiert: 4. November 2015 17:54

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