Thurgau gegen Lakers: Hockeywelt steht Kopf

· Online seit 26.02.2016, 14:04 Uhr
Hockey Thurgau steht im Ostschweizer Duell gegen Quali-Sieger Rapperswil-Jona vor einer Eishockey-Sensation. Dem Underdog fehlt nur ein Sieg für den Einzug ins Halbfinal der NLB-Playoffs. Heute Abend bekommen die Leuen den ersten von drei Matchpucks serviert.
David Scarano
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Lakers gegen Hockey Thurgau, formstarker Qualifikationssieger gegen schwächelnden Tabellenachten, langjähriger NLA-Verein gegen Kleinklub aus der Hockey-Provinz. Niemand hätte vor dem ersten Puckeinwurf einen Franken auf die Leuen gesetzt. Doch Überraschung: Nach vier Playoff-Partien (Stand 1:3) steht der haushohe Favorit mit dem Rücken zur Wand. Wie konnte es so weit kommen? Ein Erklärungsversuch, der leider auf etliche Sport-Binsenweisheiten zurückgreifen muss.

«Das ist Eishockey»

Die Lakers erfreuten in den vergangenen NLA-Jahren vor allem die Gegner. Trotz Vorwärtsstrategien, hochkarätigen Verpflichtungen und unzähligen Feuerwehrübungen landeten die St.Galler regelmässig in den Playouts. Vergangenes Jahr war es dann tatsächlich soweit: Die Lakers stiegen ab.

Der Klub nutzte die Relegation für das grosse Reinemachen. Er trennte sich von vielen Spielern, verpasste sich bessere Strukturen und verpflichtete einen neuen, unverbrauchten Trainer. Der Erfolg stellte sich schnell ein. Die Qualifikation beendeten die Lakers auf dem ersten Rang. Die Vorfreude auf die Playoffs war riesig.

Der Einbruch kommt nun umso überraschender, weil auch der Druck nicht übermässig gross ist. Ein Wieder-Aufstieg in die NLA wird am Obersee zwar angestrebt, aber nicht zwingend in dieser Saison. Der Klub sei noch nicht bereit, sagte Trainer Jeff Tomlinson erst kürzlich.

Die Lakers müssen am eigenen Leib erfahren, was gemeinhin mit dem Spruch «das ist Eishockey» gemeint ist: Meisterschaft und Playoffs sind nicht zu vergleichen. Alles was vorher war, zählt nichts mehr. Einige Trainer gehen gar soweit, von zwei verschiedenen Sportarten zu sprechen.

„Die Spieler sind extrem nervös“.

Die Lakers haben gegen Thurgau in der Regular Season fünf von fünf Siegen (3:1, 5:2, 9:1, 4:1 und 5:1) geholt. Auch das erste Spiel der Playoff-Serie gestalteten sie siegreich. Dann kam der Bruch. Der Mannschaft gelingt seither fast nichts mehr, das Selbstvertrauen ist wie weggeblasen, sie ist total verunsichert.

Dem „Blick“ sagte Lakers-Trainer Tomlinson: „Die Spieler sind extrem nervös“. Zudem beklagte er sich, dass einigen Spielern der Ernst der Lage noch nicht ganz klar sei. Das sind auch gegen einen krassen Aussenseiter wie Thurgau schlechte Voraussetzungen.

Übrigens: Ein so frühes Ausscheiden eines Quali-Siegers wäre überraschend, aber kein Novum. In der NLB ereilte 2014 Olten gegen La Chaux-de-Fonds und 2007 Langenthal gegen die GCK Lions dieses Schicksal.

«Wer nichts zu verlieren hat, kann nur gewinnen»

Kommen wir zu den Thurgauern. Sie sind der klassische Underdog. Obwohl der Klub die «Vision 2018» verfolgt und in zwei Jahren regelmässig in die Halbfinale vorstossen will, passte diese Saison vieles nicht. Den Tiefpunkt erreichte der Verein im Januar, als es überraschend zum grossen Knall kam. Christian Weber legte sein Amt als Cheftrainer nieder.

Sein Nachfolger, der bisherige Assistent Mario Kogler, ist indes eine «Lame Duck». Es steht bereits fest, dass Christian Wohlwend auf kommende Saison das Ruder als neuer Coach übernehmen wird.

Trotz Endzeitstimmung und «lahmer Ente» an der Bande haben die Leuen bislang überrascht. Das Erfolgsgeheimnis? Da sie als klare Aussenseiter nichts zu verlieren haben, können sie unbeschwert aufspielen - frei nach dem Motto: Wir haben keine Chance, nutzen wir sie.

Wie clever und effizient die Thurgauer derzeit agieren, zeigt die Statistik von Spiel 3. Das Mitteldrittel dominierten die St.Galler zwar mit 22:6 Schüssen. Die Thurgauer trafen aber zwei, die Lakers kein Mal.

Die Leuen reiten nach drei Siegen in Serie auf einer Erfolgswelle - das ominöse Momentum ist auf ihrer Seite - und lassen Erinnerungen an frühere, glorreichere Zeiten aufkommen. In den 1990er-Jahren schafften sie viermal den Einzug ins Playoff-Halbfinal. Zuletzt gewannen die Thurgauer vor 18 Jahren eine Playoff-Serie.

«Der letzte Schritt ist immer der schwerste»

Doch trotz aller Euphorie bei den Leuen - auch sie werden heute Abend mehrmals an folgende Binsenweisheit denken: Der letzte Schritt ist immer der schwerste. Die Geschichte der Playoffs ist voll mit Teams, die den entscheidenden Matchpuck nicht verwerteten - oder aus Sicht der Lakers: mit Teams, die den Kopf im letzten Moment aus der Schlinge zogen.

Fast schon Legendär ist das Viertelfinal aus der Saison 2005/2006. Ambri stand vor dem grossen Cup gegen den Erzfeind Lugano. Die Biancoblu siegten dreimal in Folge und führten im vierten Spiel bis vier Minuten vor Schluss. Der Rest ist Geschichte. Lugano siegte in der Verlängerung, gewann die Serie und wurde am Ende der Saison gar Schweizer Meister. Die Moral der Serie: Das Spiel ist erst fertig, wenn die Schlusssirene ertönt.

veröffentlicht: 26. Februar 2016 14:04
aktualisiert: 26. Februar 2016 14:04
Quelle: dsc

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