Türkei wirbt für eigene Sicht des gescheiterten Putsches

14.07.2017, 17:20 Uhr
· Online seit 14.07.2017, 16:34 Uhr
Ein Jahr nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei fühlt sich das Land immer noch unverstanden. Der Botschafter in der Schweiz hat am Freitag für die offizielle Sicht der Türkei geworben und nicht mit Kritik am Westen gespart. Brisanten Fragen wich er aus.
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Die Medienkonferenz in der Botschaftsresidenz war dramaturgisch sorgfältig inszeniert. Bevor Botschafter Ilhan Saygili seine Worte an die Journalisten richtete, wurde ein neunminütiger Film gezeigt. Dieser zeichnet die Ereignisse in der Nacht auf den 16. Juli 2016 in der Türkei nach.

Die Bilder sind drastisch: Leichenteile auf einer Brücke; ein Mann, der nach einem Kopfschuss zu Boden sinkt oder Menschen, die von einem Panzer überrollt werden. Während Überlebende von der Nacht erzählen, in der 250 Menschen ums Leben kamen, fragt eine Stimme aus dem Off: «Würdest du dich oder die Nation retten?»

So eindeutig die Bilder, so eindeutig die Botschaft. «Der Putsch war ein klarer Angriff auf die Demokratie», erklärte Botschafter Saygili im Anschluss. Nur dank dem Einsatz aufrechter Bürger - «mit Herzen und Händen» - habe der Rechtsstaat verteidigt werden können.

Ein Jahr danach fühlt sich die Türkei immer noch unverstanden und im Stich gelassen. Die Welt hätte der Türkei mehr beistehen müssen, kritisiert Botschafter Saygili. Mehr Unterstützung hätte er sich vor allem von westlichen Staaten gewünscht, allen voran den alliierten NATO-Staaten. Stattdessen hätten westliche Medien behauptet, der Putsch sei inszeniert gewesen.

Gleichzeitig verteidigte Saygili die Verhaftungswelle im eigenen Land. Diese Massnahmen seien notwendig gewesen, weil die Anhänger des Predigers Fethullah Güllen - in den Augen der Türkei «Terroristen» - den türkischen Staat unterwandert hätten. Laut Saygili sind derzeit 70'000 Menschen in Haft, darunter auch viele Richter und Journalisten. In keinem anderen Land sind weltweit so viele Medienschaffende inhaftiert wie in der Türkei.

Die Schweiz lobte Saygili dagegen ausdrücklich für ihre «ausgewogene» Reaktion nach dem Putschversuch. «Die Türkei wird nie vergessen, dass die Schweiz uns beigestanden hat», sagte der türkische Botschafter.

Saygili deutete aber auch an, dass in den bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei nicht immer alles zum besten stehe. Er verwies dabei auf die abgesagten Auftritte türkischer Politiker vor dem Verfassungsreferendum oder die Kritik an der Menschenrechtssituation im eigenen Land.

Während Saygili den gescheiterten Putsch aus persönlicher Warte in allen Einzelheiten schilderte, blieb er bei anderen Themen vage oder antwortete schmallippig. Seine Zurückhaltung erklärte er damit, dass er Diplomat sei. «Ich mische mich nicht in politische Debatten ein.»

Eine Ausnahme machte Saygili bei den Einrichtungen der Gülen-Bewegung in der Schweiz. Er zeigte sich erfreut darüber, dass eine Gülen-Schule in Zürich offenbar noch in diesem Jahr geschlossen werde. Niemand wolle seine Kinder doch an eine Schule schicken, die von einem «Terroristen» gegründet worden sei, sagte er weiter.

Ob die türkische Regierung die Gülen-Bewegung hierzulande ins Visier genommen hat, liess Saygili offen. Im März war ein Brief der türkischen Botschaft publik geworden, der zeigt, welche Institutionen und Vereine offenbar Verbindungen zum Prediger Gülen haben sollen.

Dagegen verneinte der Botschafter etwas über die Spionagevorwürfe an der Universität Zürich zu wissen. Da es eine öffentliche Veranstaltung gewesen sei, wäre theoretisch jeder in Frage gekommen. Letzten Dezember und Januar sollen laut Medienberichten Türkei-Kritiker bespitzelt worden sein.

Keinen Kommentar liess sich Saygili darüber entlocken, dass die Bundesanwaltschaft mit Ermächtigung des Bundesrates ein Strafverfahren wegen Verdachts auf politischen Nachrichtendienst im Umfeld der türkischen Gemeinschaft in der Schweiz eröffnet hat. Er erklärte lediglich, davon habe er aus den Medien erfahren.

Keinen neuen Erkenntnisse gab es auch zum Verbleib des ehemaligen Vizebotschafters in Bern, Volkan Karagöz. Er soll in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt haben. Er wisse nicht was nach der Suspendierung vom öffentlichen Dienst mit ihm geschehen sei, sagte Saygili. Trotz Nachfrage hätten die Schweizer Behörden keine Auskunft erteilt.

Dass immer mehr Menschen aus der Türkei in der Schweiz um Asyl ersuchen, habe er in den Medien gelesen. Es sei bekannt, dass Gülen-Anhänger in andere Länder geflüchtet seien, vor allem nach Deutschland. Seit dem gescheiterten Putsch haben mehr als 500 Menschen in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt.

veröffentlicht: 14. Juli 2017 16:34
aktualisiert: 14. Juli 2017 17:20
Quelle: SDA

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