Warum hat die Polizei den Opel nicht früher gestoppt?

17.12.2015, 15:17 Uhr
· Online seit 16.12.2015, 23:07 Uhr
Ein 22-jähriger Kosovare in einem blauen Opel Corsa hielt gestern die St.Galler Kantonspolizei auf Trab. Über 50 Kilometer lieferte sich der Mann ein Verfolgungsduell mit den Beamten und durchbrach dabei mehrere Polizeisperren. Jetzt wird darüber gerätselt, warum die Polizei ihn nicht schneller aus dem Verkehr ziehen konnte.
Marco Latzer
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Es liest sich wie eine der viel zitierten Verfolgungsjagden in Amerika: Ein 22-jähriger Kosovare flüchtet nach einer Polizeikontrolle auf die Autobahn in Richtung Rheintal und versucht, um jeden Preis zu entkommen. Einen künstlich verursachten Stau auf der Höhe von St.Margrethen umfuhr er über den Pannenstreifen, danach verliess er in Widnau die Autobahn. Eine erste Polizeisperre umfuhr der Mann über eine Wiese. Eine zweite vom Grenzwachtkorps durchbrach er genau wie eine dritte ausserhalb des Dorfes. Dabei wurde auch ein Polizeiauto beschädigt. Nachdem der 22-Jährige kehrt gemacht hatte, endete die Verfolgungsjagd schliesslich bei einer vierten Sperre - nun wieder in St.Margrethen.

Eine Frage der Verhältnismässigkeit

Der Mann war den Beamten in St. Gallen aufgefallen, weil er an seinem Opel Corsa unterschiedliche Nummernschilder angebracht hatte. Die 50-Kilometer-Flucht in einem Fahrzeug, das nicht eben als Rennbolide bekannt ist, wirft Fragen auf: Weshalb konnte ihn die Polizei nicht früher stoppen? Ist sich die St. Galler Kantonspolizei Verfolgungsjagden womöglich gar nicht gewohnt, weil diese nicht an der Tagesordnung sind?

Mitnichten, findet Hanspeter Krüsi, Mediensprecher der Kantonspolizei. «Die absolute Sicherheit unserer Einsatzkräfte und aller Verkehrsteilnehmer hatte bei diesem Einsatz höchste Priorität.» Die Verhältnismässigkeit sei in diesem Fall im Vordergrund gestanden - es habe schlicht keinen Grund gegeben, rigoroser einzugreifen und den «Amokfahrer» zum frühestmöglichen Zeitpunkt - beispielsweise durch ein Abdrängmanöver - aus dem Verkehr zu ziehen. «Wir wären sicherlich aggressiver vorgegangen, wenn wir gewusst hätten, dass ein flüchtiger Mörder hinter dem Steuer sitzt», so Krüsi.

Polizei war Herr der Lage

Genau dies sei aber unklar gewesen. Es hätte genau so gut eine Person mit einem psychischen Problem sein können. Daher hätte die St. Galler Kantonspolizei den 22-Jährigen - wenn nötig - bis nach Chur eskortiert. «Wir sind stets hinter ihm gewesen und konnten immer reagieren - das ist das Wichtigste bei einer Verfolgungsjagd», analysiert Krüsi. Und man habe gewusst, dass der Mann früher oder später ohnehin einmal anhalten muss. Daher sei ein «harter» Einsatz, der womöglich das Leben von Beamten und dem Flüchtenden aufs Spiel gesetzt hätte, zu keinem Zeitpunkt der Aktion zur Debatte gestanden.

Wie die amerikanischen «Verfolgungsprofis» verfügt auch die Kantonspolizei über Nagelteppiche, die ausgelegt werden können, um Autoreifen platzen zu lassen. Dies sei auch beim Kosovaren passiert: Nachdem er einen Nagelteppich überfahren hatte, musste der 22-Jährige die Geschwindigkeit reduzieren und seine Flucht quasi auf drei Rädern fortsetzen, ehe sie kurz darauf in Widnau endete.

Im Video: So berichtete TVO über die Verfolgungsjagd durch das Rheintal

veröffentlicht: 16. Dezember 2015 23:07
aktualisiert: 17. Dezember 2015 15:17

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