«Wir Franzosen lassen uns nicht einschüchtern»

26.08.2016, 15:36 Uhr
· Online seit 24.08.2016, 11:22 Uhr
Die Bilder aus Nizza schockierten die Welt. Ein Lastwagen fuhr am französischen Nationalfeiertag in eine Menschenmenge und tötete mindestens 86 Menschen. Einen Monat nach der Amokfahrt spazieren leicht bekleidete Touristen neben schwer bewaffneten Soldaten. Ein Augenschein vor Ort.
Raphael Rohner
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Die Sommerferien sind hierzulande eigentlich vorbei, doch buhlen Reiseveranstalter noch mit günstigen Angeboten um die schönsten Strände Europas. Unter den Angeboten ist auch Nizza an der Côte d'Azur. Der Ort, an dem vor etwas mehr als einem Monat ein Mann mit einem Lastwagen 86 Menschen zu Tode gefahren und über 300 Menschen verletzt hat. Die Menschen vor Ort haben Schlimmes erlebt. Bleiben ihnen nun auch noch die Touristen fern? Der Flieger von Zürich auf Nizza war schon mal ausgebucht.

Bewaffnete Soldaten nur an gefährlichen Orten

Am Flughafen dann der erste Kontakt mit der Vergangenheit. Es patrouillieren gleich mehrere schwer bewaffnete Soldaten durch das Empfangsterminal. Ein etwas mulmiges Gefühl, aber an sich nichts Besonderes. Die Menschen am Flughafen sind von den Soldaten nicht sonderlich beeindruckt: «Die Soldaten sind an gefährlichen Stellen ganz in Ordnung», sagt Lisa aus den USA und steckt ihre blaue Sonnenbrille über ihre Stirn in ihre blonden Haare. Wir fahren mit dem Bus vom Flughafen weg und biegen in die Strasse ein, in der es geschah.  Sie habe den Trip nach Nizza schon länger gebucht und komme trotzdem hierher: «Ich habe keine Angst vor irgendwelchen Irren - die hat es bei uns auch», sie lacht und blickt aus dem angelaufenen Busfenster zum Meer im Abendlicht.

Kurz vor dem Hotel Negresco hält der Bus an einer Haltestelle. Hier begann die Amokfahrt. Am Meer stehen vertrocknete Blumen und längst erloschene Kerzen. Davor patrouillieren erneut schwer bewaffnete Soldaten der Armee. Es wirkt wie eine Szene aus einem Kriegsgebiet - mit dem Unterschied, dass hier die Menschen leicht bekleidet umher laufen, kichern oder Selfies machen. Unweit entfernt ist Loungemusik und das Lachen planschender Kinder zu vernehmen. Die Erinnerung an die schrecklichen Bilder scheint - wie die Farbe der Blumen - verblichen.

Darüber reden ist verpönt

Die Bewohner in Nizza reden nicht gerne über den Tag: «Man versuchte uns einzuschüchtern, aber wir sind Franzosen - niemand kann uns brechen», sagt der Velo-Touristenführer Micha nachdenklich. «Normalerweise ist in dieser Jahreszeit viel mehr los - viele Hotelzimmer sind leer oder werden zu Schleuderpreisen vergeben.» Generell sei es aber spannender, über die Vergangenheit der Stadt zu reden als über irgendwelche Spinner mit düsteren Absichten. Er blickt zu Boden. Dann schaut er einem wieder tief in die Augen, lacht und zeigt auf ein kleines Gässli in der Altstadt. Er grinst: «Da gibt es die besten Glacés weit und breit!» Wir fahren weiter und bekommen einen Einblick von Nizza. Überall Touristen, die gut gelaunt ihre Ferien geniessen. Jugendliche, die rauchend vor Bars stehen - lachende Gesichter überall.

In einem etwas entlegenerem Weinlokal hält man nichts von den Geschichten in den Medien: «Terroristen? Das war einfach ein Spinner, dem die Hitze und der Wein nicht gut bekommen hat - davon hat es hier viele.» Cassandra ist 56 Jahre alt und seit ihrer Jugend Schankdame in einem Familienlokal. Auch sie erzählt nicht gerne von jenem Tag, den alle nur den «Dunklen Vierzehnten» nennen. Es habe immer wieder Spinner in der Stadt, die durchdrehen und etwas Dummes machen würden. Dass der Mann ein Terrorist war, glaubt sie nicht: «Das war doch für die Regierung die einfachste Antwort auf alle Fragen - dabei gibt es hier ernste Probleme.» Sie spricht Drogenmissbrauch und Armut an und wischt den Bartresen mit einem muffigen Lappen ab. Danach schenkt sie noch eine Runde Wein aus. «Solange wir Franzosen zusammenhalten, kann uns keiner etwas anhaben - l'Unité.»

Mehr Gäste aus Russland

Die Hotels in Nizza verbuchen einen Rückgang der Reservationen europäischer Gäste von bis zu einem Drittel. Dafür nehmen die Buchungen aus Russland und China zu. Ein Hotelier hat dieses Phänomen beobachtet: "Den Leuten aus Russland ist die Situation egal - sie kommen trotzdem und geben viel Geld aus. Sein Hotel habe darum die Beschriftungen auf kyrillisch angepasst.

Nizza scheint sich nach dem Schock zu erholen, doch sind die Wunden tief. Die Tat hat dem Stolz der Bevölkerung zugesetzt, doch zeigen sie umso mehr was die «Grande Nation» gross gemacht hat. Die Menschen sind bemüht einem ein Gefühl von Sicherheit zu geben und einem unvergessliche Momente zu bescheren.

veröffentlicht: 24. August 2016 11:22
aktualisiert: 26. August 2016 15:36
Quelle: rar

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