Zu Besuch bei der «CSI» der Ostschweiz

12.12.2016, 09:39 Uhr
· Online seit 12.12.2016, 06:53 Uhr
Bei uns gibt es einen Adventskalender der speziellen Art. Wir öffnen Türen, hinter die man normalerweise nicht schauen kann. Heute auf dem Programm: Schussrückstände, feuchte Zigaretten und weitere Indizien für Delikte beim Forensisch-Naturwissenschaftlichen Dienst der Kantonspolizei St.Gallen.
Laurien Gschwend
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Joachim «Jacky» Furrer, der stellvertretende Leiter des Forensisch-Naturwissenschaftlichen Dienstes der Kantonspolizei St.Gallen, ist beim Besuch von FM1Today damit beschäftigt, Details eines vergangenen Delikts aufzuklären. «Der mutmassliche Täter hat auf eine Person geschossen, vermutlich aus der Nähe.» Nun gelte es, die genaue Distanz zu ermitteln. Dies sei wichtig, wenn es darum gehe, das Ausmass der Strafe festzulegen.

Der Kriminaltechniker erklärt, wie er seinen aktuellen Fall erforscht. «Ich habe die Jacke des Opfers auf ein Filterpapier mit schwacher Weinsäure abgepresst. Mögliche Blei-Partikel, die beim Schuss entstanden sind, setzen sich so ab.»

Alles «clevere Leute» angestellt

Zehn Personen arbeiten beim Forensisch-Naturwissenschaftlichen Dienst der Kantonspolizei St.Gallen. Sie sind Polizisten, Chemiker, Physiker, Biologen oder Mathematiker, «also clevere Leute», wie Jacky Furrer sagt. Nicht nur Fälle aus dem Kanton St.Gallen werden behandelt, sondern auch aus der übrigen Schweiz. «Wir arbeiten vielseitig: Betäubungsmittel-Vergehen, Kapitalverbrechen mit oder ohne Schusswaffe, Verkehrsunfälle und Brände landen bei uns», erklärt Furrer. Er ist Polizist und schon seit 26 Jahren in der forensischen Abteilung tätig.

Sven Gustavson arbeitet ebenfalls im Labor der Kantonspolizei St.Gallen. Im Alter von 20 Jahren absolvierte er die Polizeischule. Während unseres Rundgangs ist er dabei, eine Knacknuss zu lösen. «In meiner gesamten 18-jährigen Karriere hatte ich noch nie einen solchen Fall.»

Von der Staatsanwaltschaft ist er damit beauftragt worden, zwei Zigaretten-Kippen darauf zu untersuchen, ob sie vor einigen Jahren feucht waren. Warum er dies macht? «Ein Beschuldigter sagte, er sei am Tatort gewesen, jedoch zwei Wochen vor einem Delikt. Nun muss ich anhand der Wetterverhältnisse, die zu diesem Zeitpunkt herrschten, herausfinden, ob er recht hat, und die Zigarettenstummel könnten dabei helfen», sagt Gustavson.

Vergleichsuntersuche klären Details

Vorher habe er nie etwas mit Zigaretten zu tun gehabt. Er rauche nicht und in der Schweiz und in Deutschland habe es nie einen vergleichbaren Fall gegeben. «Mittlerweile habe ich mir ein tiefes Wissen angeeignet.» Zwei Wochen brauche er etwa, um das mögliche Beweisstück zu untersuchen und vergleichbare Experimente anzustellen. «Beispielsweise habe ich Zigaretten angezündet, zertreten und nass gemacht und dann unter dem Mikroskop auf die Einzelheiten untersucht», sagt der Polizist. Ausserdem sei er ins Ausland gefahren, um möglichst an dieselbe Zigarettensorte zu gelangen.

Zu 90 Prozent arbeiten die Mitarbeiter des Forensisch-Naturwissenschaftlichen Dienstes im Labor. «Passiert etwas Gröberes und erhalten wir eine besondere Fragestellung von der Staatsanwaltschaft, rücken wir auch aus», so Jacky Furrer. Vor allem, wenn es zu einem Brand oder Verkehrsunfall gekommen sei, «oder wenn jemand erstochen oder erschossen wurde».

Schüsse abgeben im Keller

Auch einen Beschusskeller gibt es im Gebäude des Forensisch-Naturwissenschaftlichen Instituts. Unzählige Waffen werden hier gelagert und dienen als «lebendiges Ersatzteillager», wie Sven Gustavson es nennt. Gewisse Tatbestände mit involvierten Schusswaffen könne man hier unten nachstellen, um zu beweisen oder zu hinterlegen, ob eine beschuldigte Person die Wahrheit sage.

Die meiste Zeit beschäftige man sich aber mit Betäubungsmitteln. «Das beginnt beim Hanf und geht weiter zum Feststellen von Kokain, Heroin, Amphetamin und LSD - es ist eben die ganze Palette vertreten», sagt Jacky Furrer. Nach einem simplen Schnelltest gehe es jeweils daran, die Konzentration der Substanzen zu bestimmen.

«Täglich Neues aneignen»

Jacky Furrer liebt seinen Beruf: «Er ist herausfordernd und wahnsinnig abwechslungsreich, und ich mag es sehr, mit meinen Kollegen Neues zu entdecken.» Sven Gustavson ist gleicher Meinung. «Meine Tätigkeit erfüllt mich total. Ich werde manchmal mit Sachen konfrontiert, von denen ich keine Ahnung habe. Mein Job bleibt spannend, weil ich mir täglich Neues aneignen kann.»

Komme man nach langem Forschen nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, sei dies wahnsinnig frustrierend, so Gustavson. «Die Gefahr besteht darin, dass wir zu viel in etwas reininterpretieren - nur, weil wir möchten, dass etwas dabei rauskommt.» Man müsse lernen, in diesem Spannungsfeld klarzukommen.

«Bevölkerung kann gut schlafen»

«Das, was wir hier alles so machen, tönt ziemlich schlimm. Allerdings gibt es bei uns in der Umgebung zum Glück wenige grosse Tatbestände», sagt Jacky Furrer. In New York sehe dies anders aus, wo es täglich mehrere Tötungsdelikte gebe. «Wir müssen also keine grosse Angst haben, die Bevölkerung kann gut schlafen», beruhigt er.

Morgen Dienstag besuchen wir für unseren Adventskalender ein altes, verlassenes und unheimliches ehemaliges Gasthaus. Wir öffnen die grosse Eingangstüre. Dahinter verbirgt sich ein Szenario, das aus einem Horrofilm hätte entspringen können.

FM1Today

veröffentlicht: 12. Dezember 2016 06:53
aktualisiert: 12. Dezember 2016 09:39

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