Angst vor Veränderung? Selber schuld

06.01.2019, 10:12 Uhr
· Online seit 06.01.2019, 08:26 Uhr
Den Hashtag #newyearnewme unter irgendein Sonnenuntergang-geschwängertes Naturbild zu setzen, braucht einige Sekunden. Sich aber wirklich zu verändern benötigt teilweise mehrere Jahre. Der Soziologe Franz Schultheis erklärt zum neuen Jahr, wie wir uns verändern können, was es uns bringt und wieso es uns Angst macht.
Dario Cantieni
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Gleich vorne weg: Es funktioniert. Man kann Veränderung lernen und trainieren. Nicht von heute auf morgen, aber wer sich Zeit nimmt und ein Ziel hat, der kann es auch erreichen. Klingt nach Kalenderspruch, ist es auch. Das Problem bei Veränderungen sei in erster Linie man selbst. Aber auch das Umfeld habe einen grossen Einfluss, so der Soziologe Franz Schultheis.

 Prof. Dr. Franz Schultheis, hat der Mensch Angst vor Veränderungen?

Es ist ein ambivalentes Verhältnis, das wir zur Veränderung haben. Das Unbekannte hat etwas Attraktives, man könnte in der neuen Welt ja Schätze entdecken, man kann aber auch auf Gefahren stossen. Man läuft zum Beispiel Gefahr, sozial ausgegrenzt zu werden. Wenn man beispielsweise sagt: «Ich möchte nicht mehr Buchhalter, sondern Lokomotivführer sein», kann das Umfeld abweisend darauf reagieren. Und dann geht mir etwas verloren,  das mir sehr wertvoll ist im Alltag. Und das trägt dazu bei, das man auf Veränderung verzichtet.

Also braucht der Mensch seine Position und seine Rolle in der Gesellschaft, in der er sich wohl fühlt. Und die Veränderung könnte diese gefährden?!

Genau. Aus diesem Grund verharren wir oft in der Routine. Aber auch die Routine hat ihre Berechtigung. Wenn ich bei jedem Handeln nachdenke, auf welche Art ich zum Beispiel den Kaffee zubereiten könnte, verliere ich eine Menge Zeit und verspiele meinen Tag. Eine gewisse Routine ist also sehr nützlich. Aber das man ab und zu etwas verändert im Alltag gibt einem auch das Gefühl, das teils Sachen nicht mehr so langweilig sind. Beispielsweise mal einen anderen Weg zur Arbeit nehmen, das kann schon eine gewisse Abwechslung bringen. Oder mit einer fremden Person im Lift ein paar Worte wechseln. So gewinnt man neue Eindrücke und gestaltet sein Leben spannend.

 

«Junge Menschen haben weniger Mühe mit Veränderung»

 

Das sind kleine Veränderungen, die man im Alltag einbauen kann, um der Routine zu entfliehen. Wie ist es denn, wenn ich beispielsweise meine Person verändern möchte? Sprich, mir vornehme, offener auf die Menschen zuzugehen?

Das geht, aber nicht von heute auf morgen. Wenn ich beispielsweise immer schüchtern war, aus irgendeinem Grund, kann ich nicht plötzlich ein ganz anderer Mensch sein. Scham, Peinlichkeit, Ängstlichkeit, Schüchternheit – das ist tief gespeichert in unserer Psyche und unserem Körper. Und wenn ich eine bestimmte Situation hineinkommen, in der ich diese Hemmungen spüre, braucht es enorme Energie, um diese zu überwinden. Das sind Gefühle, die sich über Jahre eingefleischt haben. Somit braucht es auch Jahre, um sie sozusagen wieder «auszufleischen». Einige Menschen brauchen Hilfe von Coaches oder Selbsthilfegruppen, aber es geht.

Hat das Alter einen Einfluss darauf, wie zu- oder abgeneigt man Veränderungen ist?

Auf jeden Fall. Junge Leute, die ihr Leben noch vor sich haben, die sich durchsetzen und etwas erreichen müssen, haben einen stärkeren Veränderungswillen, weil sie auch zu gewinnen haben. Zum Beispiel Status, Einkommen, eine gute berufliche Situation, ein Auto, ein Haus. Und die Veränderungen, die man sich herbeiwünscht, an denen arbeitet man auch stark. Ältere Menschen hingegen verharren eher. Man will das Erreichte schützen und wird eher konservativ und ist gegenüber Veränderung skeptisch. Auch, weil man mehr zu verlieren hat und das durch Veränderung geschehen könnte.

 

«Sich etwas zuzutrauen macht die Welt grösser»

 

Sie haben vorher erwähnt, dass wir uns oft nicht oder nur bedingt verändern, weil wir Angst vor der Reaktion unseres Umfeldes haben. Also kann ich sagen, mein Umfeld ist schuld daran, dass ich mich nicht verändere?

Das wäre dann doch zu einfach. Jeder ist für sein eigenes Glück verantwortlich. Wenn ich eine Entscheidung zur Veränderung getroffen habe, muss ich mich durchsetzen. Nicht nur meiner eigenen Unsicherheit, sondern vor allem auch gegenüber der Meinung der Anderen. Wir könnten alle in unserem Leben einige Träume mehr umsetzen, wenn wir den Mut dazu aufbrächten.

Also zusammengefasst kann man sagen: Veränderung bringt uns grösstenteils Vorteile, wir müssen uns einfach getrauen?!

Wenn man die Zweifel bewältigt hat, ist es ein Erfolgserlebnis. Und man sagt sich «das war gar nicht so schlimm, wenn es das nächste Mal auf mich zukommt, steck' ich das locker weg». Das gehört dann mit zum Repertoire des eigenen Verhaltens. Wir verbieten uns ständig Dinge, die wir erst gar nicht versuchen. Und wenn wir's doch tun, dann bereichert es uns. Sich etwas zu getrauen macht die Welt grösser.

 

Franz Schultheis ist ein deutscher Soziologe. Er lehrt als Professor an der Universität St. Gallen. Schultheis studierte an der Universität Freiburg und an der Universität Nancy II, er hat an der Universität Konstanz promoviert, wo er von 1989 bis 1992 Wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent war. Die ganze Sendung zum Thema Veränderung gibt es hier:
18. Juli 2019 - 15:59

«GuW 471 Veränderung Teil 1».


18. Juli 2019 - 15:59

«GuW 471 Veränderung Teil 2».

18. Juli 2019 - 15:59

«GuW 471 Veränderung Teil 3».

veröffentlicht: 6. Januar 2019 08:26
aktualisiert: 6. Januar 2019 10:12
Quelle: dac

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