Böögg brennt dank Holzwolle aus Wattwil

16.04.2018, 11:21 Uhr
· Online seit 16.04.2018, 11:21 Uhr
Damit der Böögg am heutigen Sechseläuten in Zürich auch Feuer fängt, wird er mit brennbarer Holzwolle gefüllt. Hergestellt wird diese vom Toggenburger Unternehmen Lindner Suisse.
Stephanie Martina
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St.Galler Tagblatt/Claudio Weder

Seinem Inhalt nach ist der Böögg, der alljährlich am Zürcher Sechseläuten verbrannt wird, ein Wattwiler. Denn sein Innenfutter, das grösstenteils aus brennbarer Holzwolle besteht, wird seit jeher vom Toggenburger Kleinunternehmen Lindner Suisse GmbH produziert und geliefert. Die Wattwiler Firma, die nächstes Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiert, ist in der Schweiz die einzige ihrer Art.

Je schneller es geht, bis der Kopf des Bööggs explodiert, desto besser wird der Sommer. So lautet der Volksglaube. Thomas Wildberger, Geschäftsführer und Inhaber von Lindner Suisse, ist stolz darauf, mit seiner Holzwolle alljährlich etwas zur Brenndauer und damit zur Sommerprognose des Bööggs beitragen zu können. Der Wattwiler Holzwolleproduzent liefert jedes Jahr zwischen 80 und 120 Kilogramm an Bööggbauer Lukas Meier, der für die Konstruktion des rund 3 Meter grossen «Schneemanns» verantwortlich ist. «Auch wenn der Zürcher Böögg für uns keinen grossen Profit abwirft, freuen wir uns immer wieder über diesen Auftrag», sagt Wildberger. Es sei ein Prestige-Auftrag. «Das Sechseläuten ist ein Anlass von nationaler Bedeutung. Und in der heutigen Zeit, in der Ökologie und Nachhaltigkeit immer mehr zum Thema werden, interessieren sich die Leute auch vermehrt für die Herkunft bestimmter Produkte.»

Der Zürcher Böögg dient Wildberger als Möglichkeit zur Erfüllung einer Mission: Er will dem Werkstoff Holzwolle, der in den 1950er Jahren durch den Kunststoff verdrängt wurde und lange in Vergessenheit geraten war, zum Comeback verhelfen. Denn: Holzwolle sei für viele Lebensbereiche unverzichtbar.

«Holzwolle ist nicht gleich Holzwolle»

Dass Lindner Suisse als einzige von ursprünglich 24 Schweizer Holzwolleproduzenten überleben konnte, liegt nach Wildbergers Einschätzung in der Vielfalt der Produktpalette begründet. Lindner stellt über 170 verschiedene Holzwollesorten her –dabei hat jede Sorte ihren eigenen Verwendungszweck. «Holzwolle ist eben nicht gleich Holzwolle», erklärt Wildberger. Selbst für den Böögg werden zwei verschiedene Arten verwendet. Bei der ersten handelt es sich um eine Spezialwolle, die als Stopfmaterial dient und dem Böögg Form und Kontur verleiht. Die zweite, die in ihrer Beschaffenheit etwas gröber ausfällt, wird um den Strohmann herum platziert und dient als Anzündhilfe. Für die gute Brennbarkeit sorgt harzhaltiges Föhrenholz. Die Firma Lindner beschäftigt aktuell 12 Mitarbeiter, 12 Freelancer und rund 20 Menschen mit Beeinträchtigung. Qualität wird beim Wattwiler Kleinunternehmen gross geschrieben. Zur Herstellung der Holzwolle wird ausschliesslich Schweizer Holz verwendet, das Wildberger persönlich beim Förster bestellt: Föhre, Fichte, Buche und Pappel. Zur Herstellung der Holzwolle werden die Stämme geschält, in runde Stücke geschnitten, aufgeschichtet und während 18 Monaten getrocknet. «Ähnlich wie Bünderfleisch», sagt Wildberger. Danach werden die Rundstücke mit speziellen Holzwolle-Maschinen verarbeitet. Das Toggenburger Unternehmen ist international tätig und exportiert seine Produkte in 20 Länder auf der ganzen Welt.

Zwischen Tradition und Moderne

Bekannt ist der Werkstoff Holzwolle auch im Zusammenhang mit Osternestchen oder als Füllstoff für Teddybären. Daneben wird das Material bei der Hangsicherung oder zur Euterreinigung eingesetzt. Ebenso nützlich ist Holzwolle laut Wildberger zum Unterlegen von Obst und Gemüse, um es vor Fäulnis, Unkraut oder Schnecken zu schützen. «Diese Vielfalt an Verwendungsmöglichkeiten erfordert eine enge Zusammenarbeit mit Fachkräften wie etwa Landwirten oder Tierärzten.» Lindner Suisse will diese Vielfalt mit neuen innovativen Ideen beibehalten. Das längerfristige Ziel des Unternehmens ist, «das ‹old fashioned› Produkt in die Moderne zu überführen».

Dieser Artikel erschien am 16. April 2018 im «St.Galler Tagblatt».

veröffentlicht: 16. April 2018 11:21
aktualisiert: 16. April 2018 11:21

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