Gassenküchen

«Unsere Gäste haben Angst vor der Einsamkeit»

· Online seit 24.12.2020, 13:06 Uhr
Die vom Bundesrat angeordnete Restaurantschliessung betrifft auch die Gassenküchen in der Ostschweiz. Für die Stammgäste ist dies, gerade über die Festtage, ein harter Schlag.
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«Unsere grösste Befürchtung ist leider wahr geworden: Unser traditionelles Weihnachtsessen und der Neujahrsbrunch können nicht wie üblich stattfinden. Das macht uns sehr traurig.» Regine Rust, Geschäftsleiterin der Stiftung Suchthilfe St.Gallen, welche die Gassenküche an der Linsebühlstrasse führt, macht sich Sorgen um ihre Klienten. Bis anhin feierten Randständige und Arbeitslose in der Gassenküche Weihnachten und Neujahr. «Dieses Jahr können sie die Nähe und den Kontakt zu anderen Menschen nicht geniessen.»

Festschmaus zum Mitnehmen

Die Stimmung unter den Stammgästen sei trist. «Sie haben Verständnis für die Corona-Massnahmen, aber sie sind extrem enttäuscht und haben Angst vor den Tagen und der Einsamkeit. Es ist eine sehr belastende Situation, nicht nur für unsere Klienten, auch für Menschen im Altersheim oder Risikogruppen, die sich isolieren müssen», sagt Rust.

Immerhin ein Festtagsmenü kann die Gassenküche trotz allem bieten. Die Mitarbeitenden dürfen den Festschmaus als Take-Away abgeben. Bei der Abholung können zusätzlich ein paar Worte gewechselt werden. «Wir nehmen uns extra viel Zeit für die Personen, die das Essen abholen, um wenigstens mit Abstand und wenn möglich draussen noch etwas plaudern zu können.»

«Weihnachten wäre unser Highlight»

Auch bei der Gassenküche in Frauenfeld ist die Stimmung am Boden. «Es gab viele Tränen wegen der Schliessung. Die Gassenküche ist die Familie unserer Gäste, für sie ist es das Schlimmste, dass sie sich nicht mehr bei uns treffen können», sagt Sandra Kern von der Gassenküche Frauenfeld. Normalerweise wird hier am 25. Dezember die Gassenküche für alle geöffnet. «Es wir gesungen, es gibt Musik und ein Vier-Gänge-Menü, Weihnachten ist für uns das Highlight des Jahres.»

Auch hier wird dieses Jahr alles anders: «Wir verteilen am 25. Dezember 50 Menüs und haben es so organisiert, dass die Gäste in Vierergruppen zu einer bestimmten Zeit zur Abholung kommen. Dazu haben wir noch mehr Überraschungen für unsere Gäste eingeplant. Ich verteile zum Beispiel Einkaufsgutscheine, so können sich unsere Gäste etwas Gutes tun», sagt Kern. Die Gassenküche Frauenfeld finanziert sich vollumfänglich durch Spenden.

Etwas besser ist die Situation in der Churer Gassenküche. «Da bei uns Beratungsstelle, Notfallschlafstelle und Gassenküche in einem Haus sind, dürfen wir die Gassenküche für unsere Gäste in der Notschlafstelle aufrechterhalten», sagt Carlo Schneiter, Betriebsleiter des Vereins Überlebenshilfe Graubünden. Für die Gassenküche gelten somit Regeln ähnlich wie für Hotelleriebetriebe. Für Gäste, die nur zum Essen kommen wollen, gibt es ein Take-Away-Angebot. «Es ist trotzdem schwierig für die Gäste, da dieses Jahr keine Weihnachtsanlässe und somit nur wenig Geselligkeit stattfinden kann.»

Einzelne bis gar keine Corona-Fälle

Das Coronavirus selbst war für die Gassenküchen bisher kein grosses Thema. «Wir hatten keinen einzigen Corona-Fall bei uns», sagt Rust von der Gassenküche St.Gallen. «Wir haben uns auch immer sehr bemüht, auch unsere Gäste hielten sich immer sehr streng an die Regeln. Insgesamt ist die Akzeptanz sehr hoch, diese einzuhalten.» Der Verein Überlebenshilfe Graubünden verzeichnet ebenfalls keine Corona-Fälle.

Auch in Frauenfeld wurden die Regeln streng eingehalten. «Wir hatten zwei Corona-Fälle bei uns», sagt Kern. «Ein Gast war sehr lange auf der Intensivstation und hat jetzt noch Folgeschäden. Die Leute hatten immer Verständnis für die Massnahmen.» Trotz Verständnis werden die Tore der Gassenküche noch eine Weile geschlossen bleiben. In Frauenfeld rechnet man mit dem Äussersten. «Ich befürchte, dass es März wird, bis wir wieder öffnen können.»

veröffentlicht: 24. Dezember 2020 13:06
aktualisiert: 24. Dezember 2020 13:06
Quelle: FM1Today

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