Bevorzugung

Zweiklassengesellschaft wegen Impf-Privilegien? Das sagt ein Experte

· Online seit 26.02.2021, 06:57 Uhr
In Israel ist es bereits Realität – wer sich impfen lässt, darf wieder in Fitnesscenter, Theater und Einkaufscenter. Freiheiten, nach denen sich die Schweizerinnen und Schweizer auch sehnen. Doch ist es moralisch vertretbar, nicht geimpfte Personen zu diskriminieren?
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Die öffentliche Gesundheit gegen wirtschaftliche Interessen abzuwägen, ist schon seit Beginn der Pandemie die schwierige Aufgabe der Landesregierung. Die Impfungen sollen jetzt eine schnelle Rückkehr zur Normalität ermöglichen. Geimpfte dürften laut einem Geheimpapier des Bundesrats, das dem «Blick» vorliegt, sogar schon bald eine Sonderbehandlung erhalten. Kritiker befürchten, dass dies zu einer Zweiklassengesellschaft führen könnte.

Rückkehr zum Normalzustand hat Priorität

«Nein, von einer Zweiklassengesellschaft kann man hier nicht sprechen», meint Martin Hartmann, Professor für Philosophie an der Universität Luzern. Damit es dazu komme, brauche es eine dauerhafte Benachteiligung einer Bevölkerungsgruppe. Da die Vorzüge für Geimpfte, sollte es dazu kommen, nur temporär wären, sei dies eine Übertreibung. Voraussetzung für diese Vorzüge sei aber, dass Geimpfte wirklich nicht mehr infektiös seien.

Auch von Privilegien für Personen mit Impfung zu sprechen, hält Hartmann für falsch: «Eigentlich ist es ja der Normalzustand, den die Geimpften zurückbekommen. Momentan sind unsere Grundrechte eingeschränkt.» Wer sich nicht impfen lassen wolle, verzichte bewusst darauf und müsse, zumindest eine Zeit lang, mit allfälligen Konsequenzen leben.

«In dieser Pandemie mussten viele Opfer bringen.» Die Wirtschaft, die Psyche der Menschen und auch die Jugendlichen litten stark unter den Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Darum findet Hartmann, es gelte, das Virus jetzt so schnell wie möglich zu bekämpfen. Aus wissenschaftlicher Sicht sei die Impfung unbestritten ein wichtiges Mittel dazu.

Wissenschaft ist sich einig

Es spreche wenig gegen das Impfen, darum sei es auch zumutbar, Impfgegner mit dieser Entscheidung zu konfrontieren. «Sollte es Vorzüge für gewisse Personengruppen geben, ist es wichtig, dass die wissenschaftlichen Hintergründe dafür klar kommuniziert werden», betont Hartmann. «Man sollte den Impfgegnern nicht das Gefühl geben, diskriminiert zu werden.» Doch sollte die Regierung versuchen, so viele Menschen wie möglich für eine Impfung zu gewinnen.

Von einem Obligatorium würde der Philosophieprofessor aber abraten, man dürfe allerdings nicht vergessen: «Es gibt schon lange Impfpflichten ausserhalb von Corona. Beispielsweise bei der Einreise in einige Länder.» In gewissen Bereichen akzeptiere man es also bereits.

Ethikkommission gegen Impfpflicht

Gegen ein Impfobligatorium spricht sich auch die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) aus (FM1Today berichtete). Ob mit einer Ungleichbehandlung von geimpften und nicht geimpften Personen Anreize geschafft werden dürfen, hänge stark davon ab, ob Personen nach der Impfung das Virus weiterhin übertragen können und ob eine solche allen zur Verfügung stehe, heisst es in der Medienmitteilung.

Auch die Nationale Ethikkommission betont die Bedeutung der behördlichen Kommunikation und die Bemühungen zur Erhöhung der Impfbereitschaft. Die entsprechende Kommunikation solle die wissenschaftlichen Zusammenhänge ausreichend in den Mittelpunkt rücken.

(mda)

veröffentlicht: 26. Februar 2021 06:57
aktualisiert: 26. Februar 2021 06:57
Quelle: PilatusToday

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