Frauenstreik: «Kollektives Blaumachen»

· Online seit 07.06.2019, 09:28 Uhr
«Wenn Frau will, steht alles still» war am 14. Juni 1991 das Motto des Frauenstreiks, an dem hunderttausende Menschen teilnahmen. In einer Woche wird wieder gestreikt. Doch wie sieht es rechtlich aus, wenn die Frauen ihre Arbeit niederlegen?
Stefanie Rohner
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Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Zeit für Betreuungsaufgaben, Respekt und Schutz vor Gewalt und sexueller Belästigung, das Recht der Frau: Das sind einige der Forderungen, die am Frauenstreik von verschiedenen Gewerkschaften und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gestellt werden.

In der ganzen Schweiz gibt es regionale Gruppen, die den Frauenstreiktag vorbereiten, über Aktionen und Forderungen informieren. Doch wer am 14. Juni seine Arbeit niederlegt und in den Streik tritt, müsste theoretisch das Einverständnis des Arbeitgebers einholen - obwohl seit 1999 das Streikrecht in der Schweiz besteht.

«Verletzung der Arbeitspflicht»

«Der Frauenstreik ist kein Streik im rechtlichen Sinn, da er nicht den Zweck hat, einen Gesamtarbeitsvertrag abzuschliessen. Im Prinzip handelt es sich um ein ‹kollektives Blaumachen› und eine ‹kollektive Meinungsäusserung›», sagt Thomas Geiser, Professor für Arbeitsrecht an der Universität St.Gallen (HSG).

Er sagt, die Arbeitnehmerin sei verpflichtet, ihre Arbeit zu leisten. «Das Fernbleiben der Arbeit ist folglich eine Verletzung der Arbeitspflicht. Der Arbeitgeber kann das Fernbleiben wegen des Streiks ohne Weiteres verbieten», sagt Geiser.

Die gestellten Forderungen reichen also nicht aus, um den Streik rechtlich zu rechtfertigen. Wer auf der sicheren Seite sein möchte, könnte an diesem Tag also seine Überstunden kompensieren oder einen Ferientag einziehen. «Aber auch dafür braucht es das Einverständnis des Chefs», erklärt Geiser. Es kann also, wenn Frauen und Männer für den Frauenstreik von der Arbeit fernbleiben, Konsequenzen haben. «Der Tag kann den Mitarbeitenden vom Lohn abgezogen werden.»

Es kann zur Kündigung kommen

Dass das einmalige Fernbleiben gleich eine Kündigung nach sich ziehen würde, ist laut dem HSG-Professor unwahrscheinlich. «Ein Chef kann immer eine Kündigung aussprechen, auch ohne Grund. Für eine fristlose Entlassung reicht das Fernbleiben an einem einzigen Tag nicht aus - es sei denn, es wäre ein besonders wichtiger Arbeitstag.»

Wenn der Arbeitgeber die Kündigung aufgrund der Teilnahme am Frauenstreik ausspricht, könnte es sich um eine missbräuchliche handeln. «Sie ist dann zwar gültig, aber es kann passieren, dass der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin eine Strafzahlung von maximal sechs Monatslöhnen auszahlen muss», sagt Geiser.

Das sei aufgrund des politischen Aspekts so. «Die Meinungsäusserung ist eine Ausübung eines Grundrechts. In diesem Falle zwar unter Verletzung des Arbeitsvertrages, aber unter einer derart untergeordneten Verletzung, dass man sich fragen muss, ob es sich nicht um einen Rechtsmissbrauch handelt.» Spricht der Arbeitgeber aufgrund des Fernbleibens Drohungen aus, solle man ruhig bleiben und diese nicht allzu ernst nehmen.

Gewerkschaften informieren auf verschiedenen Websites über den Frauenstreiktag, die rechtliche Lage und die Forderungen. «Das in der Bundesverfassung verankerte Streikrecht berechtigt jede Frau, für die Beseitigung der Diskriminierung Kampfmittel einzusetzen wie Protestpausen, Kleiderstreik, Arbeitsniederlegung», schreibt beispielsweise die Gewerkschaft im Service Public (VOPD). Laut dem Arbeitsrechtler Geiser allerdings ist umstritten, ob ein politischer Streik rechtlich zulässig ist oder nicht. «Da bewegen wir uns rechtlich automatisch in einer Grauzone.»

«Trotz Drohungen nichts passiert»

Für die Gewerkschaft Unia ist klar: Über Legalität oder Illegalität zu sprechen, ist nicht der Punkt. «Seit 1996 gibt es das Gleichstellungsgesetz in der Schweiz. Es wurde immer noch nicht umgesetzt. Das ist illegitim und illegal. Dass die Frauen von ihrem Recht Gebrauch machen, sich mittels Streik zu wehren, ist nur recht, schaut man sich die Situation an», sagt Lorenz Keller, Co-Geschäftsleiter der Unia Zürich-Schaffhausen.

Wie Keller sagt, sei es absurd und ein Affront gegenüber allen Frauen, wenn Arbeitgeber mit Repressionen oder Kündigung drohen, wenn sich Frauen für ihre verfassungsmässig garantierten Rechte einsetzen. «Schon vor dem Frauenstreik 1991 wurde viel gedroht. Passiert ist schlussendlich nichts. Der Streik hat einen wichtigen Impuls gegeben, die Gleichstellung weiterzubringen. Hoffentlich hat der Frauenstreik vom 14. Juni 2019 ebenfalls diese Wirkung. Denn es ist bitter nötig, die Gleichstellung voranzubringen.»

Das war der Fernsehbericht zum Frauenstreik 1991:

Entscheidet der Arbeitgeber, dass er den Lohn wegen der Teilnahme am Frauenstreik kürzt, springt die Gewerkschaft ein: «Wer streikt, kriegt keinen Lohn. Da kommt die Gewerkschaft ins Spiel. In solchen Momenten ist es wichtig, solidarisch zu sein - die Gewerkschaftsmitglieder schauen dann, dass die Streikenden zu ihrem Lohnersatz kommen. Man hält zusammen», sagt Keller.

Die Unia positioniert sich klar: «Alle Gewerkschaften des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB stehen voll hinter dem Frauenstreik. Die Schweiz ist im internationalen Vergleich das Schlusslicht punkto Gleichstellung und Lohngleichheit. Das ist nicht hinnehmbar, weswegen es legitim ist, auf die Strasse zu gehen.» Wenn Frauen ihre Arbeit niederlegen, werde sichtbar, was sie normalerweise alles leisten.
Am kommenden Freitag, 14. Juni, wird in verschiedenen Schweizer Städten gestreikt, etwa in St.Gallen, Chur und Frauenfeld. Eine Übersicht über das Programm des Frauenstreiktags findest du hier.
veröffentlicht: 7. Juni 2019 09:28
aktualisiert: 7. Juni 2019 09:28

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