«Was war mit denen los?»

15.06.2016, 12:40 Uhr
· Online seit 15.06.2016, 12:34 Uhr
Das ging schnell: Nach der 0:2-Niederlage gegen Ungarn ist die EM-Euphorie in Österreich grosser Ernüchterung gewichen. Marcel Koller und seinem Team stehen schwierige Tage bevor.
René Rödiger
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Offensichtlich sei der Druck für einige seiner Spieler zu gross gewesen, versuchte Koller die erste Pflichtspiel-Niederlage Österreichs nach zuletzt zehn Siegen und einem Unentschieden zu erklären. Warum sich bei seinen international erfahrenen Nationalspielern beim EM-Start auf einmal Nervosität breitmachte, war dem 55-Jährigen selbst ein Rätsel. Möglicherweise sei die Teilnahme an einem grossen Turnier doch etwas anderes, als regelmässig auf Klubebene in Top-Ligen zu spielen. «Beim einen oder anderen war Hektik drin.»

Seinen Blick hat Koller aber bereits auf die nächste Partie am Samstagabend im Pariser Parc des Princes gerichtet. «Jetzt müssen wir versuchen, gegen Portugal zu punkten. Schön wäre es, wenn wir drei Punkte holen.» Bis zum Duell mit dem EM-Zweiten von 2004, der im Startspiel gegen Island nicht über ein enttäuschendes Remis hinausgekommen ist, will der frühere Meistercoach von St. Gallen und GC sein Team wieder aufrichten. «Nach dem Spiel waren alle sehr enttäuscht, es war sehr ruhig in der Kabine. Aber wir haben eine gute Gruppe, jeder muss den anderen mitreissen - und ich werde vorangehen», versprach der Zürcher.

«Auf Koller wartet eine Herkulesaufgabe, eine grosse Herausforderung», schrieb die «Kronen-Zeitung» am Tag nach der überraschenden Niederlage. «Was ist, wenn wir gegen Ungarn verlieren? Wir wollten nicht daran denken, diesen Satz nicht aussprechen. Jetzt ist der grösste Albtraum wahr geworden. Warum nur, Herr Koller?»

Die Aufgabe gegen Portugal erschwert die Tatsache, dass im zweiten EM-Spiel neben dem gesperrten ehemaligen FC-Basel-Verteidiger Aleksandar Dragovic auch der an einer Knöchelverletzung laborierende Spielmacher Zlatko Junuzovic fehlen dürfte. Umstellungen sind aber auch anderweitig nicht ausgeschlossen. Auffällig ist, dass sich so mancher Stammspieler Österreichs in einem hartnäckigen Formtief befindet. Dies hatte sich allerdings schon in den Testspielen vor der Endrunde gegen Malta (2:1) und gegen die Niederlande (0:2) angedeutet. «Aber man kann nicht auf einen Knopf drücken und sagen, jetzt spielen wir auf Top-Niveau», so Koller.

Diskutiert wird auch über David Alaba. Der ÖFB-Star von Bayern München ist in der Stammformation selbstredend völlig unbestritten. Allerdings spielt Österreichs Sportler des Jahres 2013 und 2014 im Nationalteam auf einer anderen Position als beim deutschen Double-Gewinner: Bei Bayern linker Verteidiger, in der Nationalmannschaft im Mittelfeld. «Vielleicht ist das ein kleines Problem», meinte Koller zum Positionswechsel seines Stars.

Restlos bedient waren am Dienstag die mit grossen Erwartungen nach Bordeaux gereisten österreichischen Fans. Unmittelbar nach dem 0:2 durch Zoltan Stieber in der 87. Minute verliessen die Austria-Anhänger in Scharen vorzeitig das Stadion. «Vom Viertel- und Halbfinalisten zum Aus in der Gruppenphase», lautete die düstere Prognose eines rot-weiss-roten Fans, der wie viele andere nach dem österreichischen Fehlstart fassungslos war. «Was war mit denen los?», war immer wieder zu hören.

Hans Krankl, Österreichs WM-Held 1978 beim Sieg über Deutschland, lästerte derweil über den gegnerischen Torschützen Adam Szalai. «Dann kamen die Ungarn einmal nach vorne und Szalai, der langsamste Spieler, den ich je gesehen habe, schiesst das 1:0», schrieb Krankl am Mittwoch in seiner Kolumne in der Zeitung «Österreich». Für Krankl steht fest, dass Österreich bis dahin das bessere Team gewesen war. Aber der Mannschaft habe die nötige Geduld gefehlt.

Nun könnte für Österreich bereits nach zwei Spielen der Traum vom Achtelfinal vorbei sein. Dann nämlich, wenn Island am Samstag gegen Ungarn gewinnt und die ÖFB-Auswahl gegen Portugal verliert.

veröffentlicht: 15. Juni 2016 12:34
aktualisiert: 15. Juni 2016 12:40
Quelle: SDA

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