«Ich bin nur noch der Gango»

17.12.2018, 10:31 Uhr
· Online seit 17.12.2018, 06:04 Uhr
Ernst und Eric Thoma, Vater und Sohn, arbeiten gemeinsam in einer Sattlerei in Rorschacherberg, die unter anderem den beliebten «Chüeligurt» herstellt. Das Unternehmen wurde in diesem Jahr vom Vater dem Sohn übergeben – ganz ohne Reibungen verläuft der Arbeitsalltag aber nicht.
Lara Abderhalden
Anzeige

Es ist früh am Morgen als ich die schwere Holztüre zur Sattlerei von Eric und Ernst Thoma in Rorschacherberg öffne. «Bitte klingeln und dann eintreten», steht geschrieben. Beim Eintreten habe ich das Gefühl, eine Glocke würde irgendwo auf den Boden knallen. Es handelt sich aber um eine Glocke gleich über dem Eingang, die den Besuch von Kunden ankündet.

Tangas im Edelweiss-Look

Kaum habe ich einen Fuss in den Laden der Etro AG – so heisst die Sattlerei – gesetzt, nehme ich einen sehr intensiven Geruch von Leder wahr. «Riecht sehr gut», sage ich und werde von Eric Thomas Frau die Treppe hoch in den eigentlichen Laden geführt. Der Raum ist in hellem Holz gehalten, es reihen sich mehrere Kleiderständer aneinander, die gefüllt sind mit «Chüeligurten», Glocken und Edelweiss-Hemden. Ein Regal fällt mir sofort auf: Tangas und Boxershorts im Edelweiss-Motiv drauf.

«Ihr macht also nicht nur Chüeligurte?», frage ich. Eric Thomas folgt meinem Blick in Richtung Unterwäsche und lächelt: «Wir waren die ersten, die auf die Idee mit der Unterwäsche gekommen sind. Aber komm doch mit in mein Büro, dann erkläre ich dir, was wir machen.»

Ich folge Eric Thoma, der mich ins Hinterzimmer führt. Dort sitzt ein älterer Mann mit weissen Haaren und blauen Augen über einen Haufen Briefe gebeugt. Er sieht kurz auf: «Grüezi», sage ich und er stellt sich als Ernst Thoma vor, der Vater und Vorgänger von Ernst Thoma. Er führte das Unternehmen über 40 Jahre lang.

«Papi, chum etz mol»

Eric Thoma erklärt mir kurz, was das Unternehmen alles herstellt. Nebst dem «Chüeligurt» gibt es diverse Glocken, wobei die Sattlerei hauptsächlich die Riemen dafür herstellt und nur einzelne Glockenarten. Es gibt Edelweisshemden und natürlich viele verschiedene Arten von Gurten. «Wir versuchen mit der Zeit zu gehen und immer wieder neue Formen zu entwickeln. Als neustes Modell haben wir einen Gurt, der nur vorne bei der Schnalle eine Kuh hat, da sich viele darüber aufregten, dass die Kühe den Autositz kaputt machen.»

Verstohlen schaue ich zu Ernst Thoma rüber, der noch immer über die Rechnungen gebeugt, leise vor sich hin grübelt. «Ist es möglich, mit Ihnen beiden zu reden», frage ich in seine Richtung. Es tut sich nichts. «Ähm.. Herr Thoma, könnten Sie vielleicht für ein Interview etwas näher zu uns kommen», frage ich erneut. Wieder keine Reaktion. «Papi, etz chum mol do übere», sagt Eric Thoma streng und nun endlich schaut der Vater auf. «Sag doch etwas», sagt der fast 78-Jährige. Eric schüttelt genervt den Kopf und sagt, dass wir dies bereits gemacht hätten.

«Es wird öfters mal laut»

Ernst Thoma nimmt ein «Schämeli» und setzt sich neben mich. Ich sitze nun zwischen den beiden Generationen und spreche auch sogleich das Thema an, das mich von Beginn an am meisten interessierte: «Herr Thoma, wie ist es, unter ihrem Sohn zu arbeiten? Lassen Sie sich von Ihm etwas sagen?» Eric Thoma lacht im Hintergrund kurz auf und sagt, diese Antwort würde ihn auch interessieren.

Ernst Thoma schmunzelt, dabei kommt eine kleine Lücke zwischen den beiden vorderen Zähnen zum Vorschein. «Ich habe nichts mehr zu sagen. Ich bin nur noch der Gango und habe kein Geld mehr in der Hand.» Er lasse sich nicht gerne von seinem Sohn etwas sagen, aber: «Wenn er recht hat, sage ich nicht nein. Aber sonst muss ich schon dagegen halten.»

Dass es ab und zu Reibungen gibt, gehöre dazu: «Wenn man von Morgens bis Abends mit der Familie zusammenarbeitet, dann tönt nicht immer alles so lieb», sagt nun Eric Thoma, «Da fallen auch einmal nicht so schöne Worte.» Thoma senior ergänzt: «Wenn in der Werkstatt die Maschinen laufen, dann wird man halt öfters einmal laut.»

Entscheid kam früh

Grundsätzlich sei der Vater aber ein sehr angenehmer Mitarbeiter. «Ich bin auch die billigste Arbeitskraft», fällt Ernst Thoma seinem Sohn ins Wort. «Er ist sehr offen für neue Ideen», fährt Eric Thoma fort. Er habe nie etwas gegen Veränderungen einzuwenden und hätte ihn stets in Entscheidungen bestärkt.

So entsteht ein Gurt:

Beim Vater von Ernst Thoma sei dies noch anders gewesen. Als Ernst Thoma das Geschäft seines Vaters 1972 übernahm und am Montagmorgen seinem Vater einige Änderungen ankündigte, habe dieser nur gesagt: «Was glaubst du eigentlich, wer du bist?!» Irgendwann hätten sich die beiden aber doch einigen können und sie haben, wie heute Eric und Ernst, viele Jahre miteinander gearbeitet.

Dass Eric Thoma das Geschäft seines Vaters übernehmen wolle, war für ihn schon sehr früh klar gewesen. Der entscheidende Moment folgte bei einer Fahrt ins Deutsche: «Ich habe Eric, der damals in der Lehre war, mitgenommen und ihn während der Fahrt gefragt, ob er sich vorstellen könne, eines Tages das Geschäft zu übernehmen.» Er hätte Eric die ganze Fahrt Zeit gegeben, sich eine Antwort zu überlegen, diese kam aber schon nach wenigen Sekunden: «Ich musste nicht überlegen, für mich war schon lange klar, dass ich eines Tages in die Fussstapfen meines Vaters treten will», sagt Thoma junior.

Der Vater hält sich raus

Das Dreiergespräch ist vorerst beendet, wir erheben uns, eine Führung durch die Sattlerei steht an. «Machst du das, Eric?», fragt Ernst Thoma. Eric nickt und führt mich über die schmale Holztreppe ins Untergeschoss. Er erklärt mir Schritt für Schritt die einzelnen Maschinen und die Arbeitsschritte, die nötig sind, um einen «Chüeligurt» herzustellen. Vom Ausstanzen, zur Gravur bis hin zur Befestigung der Kuh auf dem Gurt.

Der Stolz des Sohnes ist kaum zu übersehen. Er ist in seinem Element und ist sich für keine Demonstration der Arbeitsgeräte zu schade. Ernst Thoma steht im Hintergrund. Er beobachtet uns, mischt sich aber mit keinem Wort ein. Ein einziges Mal verschwindet er kurz und taucht mit einer Mütze auf dem Kopf wieder auf: «Schauen Sie, auf dieser Kappe ist eine Kuh verkehrt herum drauf.» Ich mustere die schwarze Barret-artige Mütze und sehe zwei Kühe, die sich anschauen. «Die habe ich selbst gemacht und ist eine unsere Eigenarten. Im Après-Ski hat mich der Barkeeper immer sofort erkannt.» Er lächelt und verschwindet wieder.

Eric Thoma schüttelt lächelnd den Kopf und fährt mit seiner Führung fort. Diese endet dort, wo ich das Geschäft zwei Stunden zuvor betreten hatte: Vor der Türe mit der grossen Glocke in der Ecke. Ich schüttle Eric und Ernst Thoma die Hand, bedanke mich herzlich und mit einem dezenten Ledergeruch in der Nase ducke ich mich beim Herausgehen, wiederum mit dem Gefühl, die Glocke könne mir in jedem Moment auf den Kopf fallen.

FM1Today hat Ernst und Eric Thoma im Rahmen der Serie «Die Letzten ihrer Art» besucht. Während des Dezembers werden weitere Persönlichkeiten, welche die letzten in ihrem Handwerk sind oder einen speziellen Beruf ausüben, vorgestellt. Alle Porträts im Überblick gibt es hier.
veröffentlicht: 17. Dezember 2018 06:04
aktualisiert: 17. Dezember 2018 10:31

Anzeige
Anzeige