Kitas lohnen sich nur für Vielverdiener

· Online seit 26.04.2017, 13:55 Uhr
Eine neue Studie hat ergeben: Im Kanton St.Gallen gibt es zu wenige Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Aber nicht nur die Anzahl Plätze sind ein Problem, sondern vor allem auch die Kosten.
Laurien Gschwend
Anzeige

St.Gallen hinkt anderen Kantonen deutlich hinterher. Gibt es in der restlichen Schweiz im Durchschnitt zehn Krippenplätze pro 100 Kinder, sind es in St.Gallen lediglich sechs. Dies zeigt eine von der St.Galler Regierung in Auftrag gegebene Studie (FM1Today berichtete).

Externe Kinderbetreuung sei «eine grosse finanzielle Belastung für die Familien», findet der Kanton St.Gallen. Schliesslich müssen sie im Durchschnitt 61 Prozent der Kosten selber tragen; ein Betreuungsplatz für ein Kind kostet im Kanton St.Gallen aktuell etwa 94 Franken pro Tag.

Rechnung geht nicht auf

«Für Familien mit einem mittleren Einkommen lohnt es sich kaum, das Kind in eine Krippe zu bringen», sagt Bettina Wüst, Leiterin des «Chinderhuus Sternacker» in St.Gallen. Vor allem, wenn man die Steuern einrechne, stimme das Verhältnis zwischen Gehalt und Betreuungskosten am Ende nicht. Sie beobachtet, dass in letzter Zeit viele Eltern mit einem hohen Einkommen (80'000 Franken im Jahr und mehr) ihre Kinder in ihrer Tagesstätte betreuen lassen.

Die Auslastung im «Chinderhuus Sternacker» sei gut, so Wüst. Die Warteliste schwanke extrem, je nachdem, an welchen Tagen die Eltern ihre Kinder am liebsten abgeben möchten. «Manche müssen ein Jahr warten, für andere wird bereits nach zwei oder drei Wochen ein Platz frei.»

«Erwerbstätigkeit nützt dem Staat»

Die Kinderkrippen-Situation zu verbessern, sei wichtig, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Frauen im Arbeitsmarkt zu behalten, sagt Max Lemmenmeier, Präsident der SP St.Gallen. Familien sollen gestützt und gestärkt werden. «Wenn beide Elternteile arbeiten, bedeutet das ein grösseres Einkommen, was wiederum dem Staat nützt.»

SP fordert Subventionen

Ein Grund für die unterdurchschnittliche Lage von St.Gallen ist gemäss Lemmenmeier das fehlende Engagement der kleinen Gemeinden. «In den Städten sieht es wesentlich besser aus, aber auch dort muss die Tagesbetreuung weiter ausgebaut werden.» Das Problem sei eine «Wechselwirkung zwischen dem fehlenden Angebot an Krippen und der Nicht-Wahrnehmung des Angebots», weil dieses zu teuer sei.

Der Kanton stütze die Familien nicht ausreichend, weshalb man die Kinder- und Ausbildungszulagen erhöhen müsse. Der St.Galler SP-Präsident stimmt Bettina Wüst zu: «Für viele Leute sind die Kosten für die Kita eine sehr hohe Belastung.» Durch Subventionen soll der Selbstfinanzierungsanteil reduziert werden, fordert die Partei.

«Unglaublichen Ausbau erlebt»

«Wir haben gewusst, dass das Kita-Angebot im Kanton St.Gallen unterdurchschnittlich ist», sagt Andrea Lübberstedt, Leiterin des kantonalen Amts für Soziales. Dass der Bericht eine derartige Kluft zwischen St.Gallen und der restlichen Schweiz zeigt, habe aber schon überrascht. «Wir haben in den letzten 15 Jahren einen unglaublichen Ausbau des Angebots erlebt. Trotzdem müssen wir sagen: Es genügt immer noch nicht.»

Man müsse unterscheiden zwischen Huhn und Ei. Zu sehen sei, dass die Erwerbsquote von Frauen und Müttern im Kanton St.Gallen unterdurchschnittlich sei. «Ist das eine Reaktion auf mangelnde Kinderkrippen? Oder ist es die Wahl der Familien, ein solches Betreuungsmodell nicht in Anspruch zu nehmen?», fragt sich die Leiterin des kantonalen Sozialamts.

Im Hinblick auf den Fachkräftemangel müsse man sich der Thematik ohnehin annehmen. Man müsse der Tatsache ins Auge sehen, dass viele Eltern einen Grossteil der Kita-Kosten übernehmen müssen; die Subventionen der Gemeinden seien aktuell noch zu gering.

Mancherorts gar keine Kitas

Auch Lübberstedt sagt, dass ein grosser Unterschied zwischen Städten und kleinen Gemeinden besteht: «70 Prozent der Gesamtausgaben entfallen auf die drei grössten Städte des Kantons; Wil, Rapperswil-Jona und St.Gallen.» In manchen Regionen gebe es hingegen gar keine Angebote für die externe Kinderbetreuung.

Der Bericht von Infras liefere sehr viel «Futter». Jetzt gehe es darum, mit den Gemeinden und Arbeitgebern Lösungen zu erarbeiten. Welche Massnahmen schliesslich herausgefiltert werden, kann Lübberstedt noch nicht sagen. «Ich möchte der Arbeit nicht vorgreifen.» Wichtig sei, dass die Regierung die Situation noch einmal bewerte.

veröffentlicht: 26. April 2017 13:55
aktualisiert: 26. April 2017 13:55

Anzeige
Anzeige