Valentinstag

Mein Valentinstags-Date mit 30 Singles

29.08.2019, 09:18 Uhr
· Online seit 15.02.2017, 10:27 Uhr
Verpiss dich, Valentinstag! Jahr ein Jahr aus stehe ich einen Tag nach Valentinstag mit einem Kater des Grauens auf. Dies, weil ich mich aus lauter Selbstmitleid ins Koma getrunken habe. Dieses Jahr sollte alles anders werden. Ich hatte ein Valentinstags-Date mit 30 Männern. Naja, dachte ich jedenfalls. Leider fand ich statt der grossen Liebe, Big Ben, den Basler Taxifahrer und Heinz, den rüstigen Rentner. Ein Erfahrungsbericht eines Singles am Valentinstag.
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Es war gestern wieder einmal so weit. Der Tag der Rosen. Valentinstag. Und dieses Jahr sollte alles anders werden. Dieser Valentinstag sollte gross werden. So richtig romantisch. Mit Kitsch und Küssen im Regen und allem drum herum. Ich wollte dieses Jahr nicht verzweifelt in meinen weiss gepunkteten, rosaroten Pyjamahosen zuhause herumliegen. Ich wollte die Baileysflasche in Frieden ruhen lassen und deinstallierte sicherheitshalber Tinder. Denn gestern sollte der Tag werden, an dem ich meine Valentinstags-Jungfräulichkeit verlieren wollte. Für immer!

Mit dieser Einstellung ging ich gestern an die Single-Stadtführung in Winterthur. «Frühlingsgefühle im Winter? Lernen sie nicht nur die schmucke Altstadt neu kennen, sondern auch nette Leute», hiess es im Flyer von Winterthur Tourismus. Ein einsamer Mann aus der Grossstadt und dann noch kulturell interessiert, das ist doch eine gute Mischung, dachte ich mir. Falsch gedacht.

Der erste Blick

Als ich Punkt fünf Uhr am besagten Ort zur besagten Zeit war, konnte ich die Single-Truppe leider nirgends finden. Einzig eine Gruppe Senioren mit Handschuhen, Zipfelmützen und Rucksäcken stand in der Bahnhofshalle. Verwirrt fragte ich einen jünger aussehenden Mann, ob hier irgendwo eine Führung statt finde. In voller Lautstärke antwortete dieser: «Sind sie bei der Single Stadtführung dabei?» Die vermeintliche Rentnertruppe drehte sich um und ich schämte mich in Grund und Boden. Danke, dass diese Leute nun wussten, dass ich einsam und verzweifelt bin.

Ich nickte kaum merklich und der junge Mann strahlte: «Dann sind sie hier genau richtig.» Seine Hände machten eine Bewegung in Richtung der schmunzelnden Senioren. Ich lief rot an und gliederte mich in die Gruppe ein. Neben mir immerhin ein mitte zwanzig wirkender Mann mit spiegelnder Sonnenbrille und Pferdeschwanz. Rechts von ihm ein rund 30-Jähriger mit leicht verwirrtem Blick, der sich als Ben vorstellte und dahinter ein rund 80-jähriger Pensionär mit blauer Zipfelmütze, Heinz, wie ich später erfuhr.

Der erste Kontakt

«Das Brauchtum des Valentinstags geht auf einen christlichen Märtyrer zurück mit dem Namen Valentin. Weil dieser heimlich Ehepaare segnete, wurde er am 14. Februar geköpft», begann der Stadtführer die Single-Führung. Wir feiern also eine Hinrichtung, toll! Naja, lass den Kopf nicht hängen, dachte ich mir und watschelte hinter der rund 30-köpfigen Mannschaft her.

Wir streiften durch die schönen Gassen Winterthurs, begleitet vom melancholischen Geplänkel des Stadtführers über einstige Stadtmauern, den heiligen Albanus und frühere Bars und Treffpunkte sich Liebender. «Darf ich dazu noch etwas sagen», begann Ben, «ich finde es eine Frechheit, dass Winterthur immer auf eine Industriestadt reduziert wird.» Davon war zwar nicht die Rede, trotzdem startete er einen rund fünfminütigen Vortrag über die Industrialisierung und wie diese die Stadt kaputt machte. Heinz, der Pensionär, der Mühe hatte Schritt zu halten und deshalb immer mit einer Verzögerung von zirka drei Minuten vor den Sehenswürdigkeiten eintraf, meinte dazu nur: «Früher, da war diese Beiz ein Tanzlokal.»

Weil mir diese Interruption durchaus sympathisch war, gesellte ich mich zum rüstigen Rentner. Er erzählte mir, dass er verwitwet sei, sein Single-Leben aber geniesse. Er lebe seit 40 Jahren in Winterthur, sei ursprünglich aber Berner und habe in Argentinien gelebt. Bei der nächsten Sehenswürdigkeit angekommen, einer Kirche, hörte ich schon von weitem Bens Stimme «Das stimmt so nicht ganz…» Ich hörte schon gar nicht mehr zu, sondern suchte nach dem Jüngling mit Pferdeschwanz. Doch leider hatte der sich in Luft aufgelöst. Ich war also alleine mit einer Schar hauptsächlich lustiger Weiber und Heinz und Ben.

Der erste Small-Talk

Da sich solche Situationen kaum ändern lassen, warf ich meine Suche nach der grossen Liebe kurzerhand über Bord und nahm mir stattdessen vor, das Ganze als eine Art Comedy zu sehen.

Das anschliessende «Flying Dinner» erfüllte alle Klischees eines Valentinstags. Rosenblätter auf den Tischen. Sechs-Gang-Menu. Wein und zuerst äusserst wortkarge Konversationen. Ich hatte die Ehre, neben Ben zu sitzen. Er erzählte mir, dass er wie dieser Turm in London heisse, der Big Ben. Leider sei er mit seinen 1.90 Metern aber nicht ganz so gross.

Er fahre Taxi. Das sei nicht immer so toll. Die Menschen seien zum Teil grässlich. Verlassen das Taxi ohne zu bezahlen. Ich sähe aber wie jemand aus, der bezahlen würde. Ob ich ihn denn nun einmal in Basel besuchen komme. Nur schon seinetwegen sei Basel ein Besuch wert. Dürfe er mir doch seine Nummer geben? Während ich seine Nummer in mein Handy eintippe, beobachtete ich aus dem Seitenwinkel wie Heinz von Tisch zu Tisch ging und versuchte, die Teilnehmer aus ihrer Komfortzone zu locken.

Der erste Annäherungsversuch

Kurzerhand platziert er einen ruhigen Mann zwischen zwei unaufhaltsam quasselnde Frauen. Er selbst setzt sich zu einer Frau aus Tansania und erzählt ihr in reinstem schweizerischen Hochdeutsch, welch unholde Dinge er jeweils am Valentinstag mit seiner Frau angestellt hatte. Die Frau kicherte. Immer wieder.

«…Findest du das auch?», Ben schaute mich erwartungsvoll an. Ich hatte keine Ahnung, ob er immer noch die Vor- und Nachteile des Kommunismus durchleuchtete oder hat er etwas von Steuerreform gesagt? Ich nickte scheinbar wissend und ergänzte: «Absolut.» «Gut, dann hole ich gleich mein Auto.» «Ähm, was, wie bitte?» «Du sagtest doch, ich soll dich nach Hause fahren?»

«Ah ähm, ich habe dich akustisch nicht verstanden, wie war das nochmals mit dem Feminismus, du bist also ein Verfechter des Feminismus?» Gott, sei Dank sprang er darauf an. Wir diskutierten noch eine Weile über Frauen, Beziehungen und Väter und plötzlich war die ganze Truppe in das Gespräch verwickelt. Singles unterschiedlichen Alters diskutierten über das, was sie alle verbindet, dass Single sein. Und plötzlich fühlte ich mich pudelwohl. Ich merkte, dass es keine Rolle spielt, wie alt man ist, welchen Beruf man ausübt, wie viel Erfahrungen man hat. Das Gefühl, allein zu sein, hatte uns zusammen gebracht und so kitschig das auch klingen mag: Zusammen ist man weniger allein.

Als ich an diesem Abend das Restaurant verliess und all die Paare beobachtete, die zu zweit im Schein zweier leuchtender Smartphones hockten und sich nichts zu erzählen hatten, wurden mir zwei Dinge klar: Die beiden Phänomene Big Ben und Heinz haben mich besser unterhalten als jedes Tinder-Date. UND: Ich werde auch dieses Jahr mit einem Kater des Grauens aufwachen.

veröffentlicht: 15. Februar 2017 10:27
aktualisiert: 29. August 2019 09:18
Quelle: FM1Today

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