400 potenzielle Dschihadisten in der Schweiz

02.05.2016, 13:15 Uhr
· Online seit 02.05.2016, 11:32 Uhr
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hat rund 400 potenzielle Dschihadisten auf dem Radar. Er beobachtet deren Aktivitäten in den sozialen Medien. Neben dem Terrorismus bleibt die Spionage ein wichtiges Thema.
René Rödiger
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Das Bild eines Sprengstoffgürtels mit einem Schweizer Pass, dazu der Hashtag «homesweethome» und ein Smiley: Das hat ein Schweizer Dschihadreisender auf Twitter verbreitet. Der Nachrichtendienst des Bundes bildet den Tweet in seinem Jahresbericht als Beispiel ab.

Der dschihadistisch motivierte Terrorismus stelle weiterhin eine grosse Bedrohung dar, sagte NDB-Chef Markus Seiler am Montag vor den Medien in Bern. Die Anschläge von Paris und Brüssel hätten die Beurteilung bestätigt.

Die Bedrohung sei auch in der Schweiz erhöht: Radikalisierte gewaltbereite Personen könnten zur Tat schreiten, sagte Seiler. Die Schweiz sei allerdings keines der primären Ziele dschihadistischer Terrororganisationen. Der NDB rechnet am ehesten mit Anschlägen von Einzeltätern oder Kleingruppen, die mit einfachen Mitteln und minimalem logistischem Aufwand verübt würden.

Weiterhin im Fokus stehen die Dschihadreisenden. Bisher hat der Nachrichtendienst 73 Fälle registriert. Seit Jahresbeginn seinen allerdings keine neuen Abreisen dazugekommen, sagte Seiler. Der Plafond könnte erreicht sein. Bisher hat der NDB 12 Rückkehrer gezählt. In allen Fällen wurden Strafverfahren eingeleitet. Die Bundesanwaltschaft bearbeitet insgesamt rund 60 Fälle.

Kaum neue Erkenntnisse brachte laut Seiler die Datensammlung des «Islamischen Staates» (IS), die im März durch ein Leck öffentlich wurde. Sie enthielt die Namen von sechs Personen mit Bezug zur Schweiz, die dem NDB bereits bekannt waren.

Verteidigungsminister Guy Parmelin warb angesichts der terroristischen Bedrohung für das neue Nachrichtendienstgesetz, über welches das Stimmvolk befinden wird: Es sei ein wichtiges Instrument, da es die präventive Überwachung ermögliche.

Seiler erinnerte daran, dass dem Nachrichtendienst heute Grenzen gesetzt seien. Auch mit dem neuen Gesetz werde sich die Überwachung aber auf wenige beschränken, versicherte er. Für alles andere fehlten ohnehin die Ressourcen. Sollten etwa mehrere Personen rund um die Uhr observiert werden, müssten die Polizeikräfte aufgestockt werden.

Der Umgang mit Dschihadisten sorgt zuweilen für Diskussionen in den Sicherheitsorganen des Bundes. So stellt sich etwa die Frage, wie mit den vor kurzem in Bellinzona verurteilten Irakern umzugehen ist, wenn sie - in ein paar Jahren - ihre Strafe abgesessen haben und aus der Haft entlassen werden.

Hier herrsche die Meinung vor, dass die Betroffenen grundsätzlich als unbescholtene Bürger gälten, sagte Seiler auf entsprechende Fragen. Für eine Überwachung bräuchte es erneut einen Anfangsverdacht.

Neben dem Terrorismus beschäftigt den Nachrichtendienst weiterhin die Spionage. Verbotener Nachrichtendienst bleibe eine Bedrohung, gleichgültig ob mit traditionellen Mitteln betrieben oder als Cyberspionage, hält der NDB fest. Internationale Verhandlungen und Konferenzen seien ein Magnet für verbotenen Nachrichtendienst, die Schweiz sei davon besonders betroffen.

Der NDB hat in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben mehrere Fälle aufgedeckt. Manchmal gebe es Diskussionen mit dem Aussendepartement (EDA), sagte Seiler. Unter Umständen werde eine Person, die für eine Verhandlung wichtig sei, nicht an der Einreise gehindert, obwohl es sich um einen Agenten handle.

Bei den Cyberangriffen bereitet dem NDB eine Gruppierung Sorge, die über komplexe Spionagesoftware verfügt. Der Fall dieser Gruppierung zeige, das hinter komplexen Angriffen nicht zwingend ein Staat stehen müsse, heisst es im Bericht.

Im Fokus der Spionage stehen oft Unternehmen. Im Rahmen des Präventions- und Sensibilisierungsprogramms Prophylax hat der NDB nun einen Kurzfilm produzieren lassen, der das mögliche Vorgehen von Spionen vor Augen führt.

Das Opfer im Film ist der Leiter einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung. «Angefangen hat das mit dieser Frau, Linda, sie hat mich auf dem Weg zu meinem Stammlokal angesprochen», erzählt er. Später im Film zapft der Spion das Smartphone des Abteilungsleiters an, während dieser zur Toilette geht, um sein Hemd zu reinigen - auf welches der Spion Wein gekippt hatte.

Der Nachrichtendienst hält im Jahresbericht fest, die Welt befinde sich in einer Ära «nach Snowden». Dessen Enthüllungen hätten eine neue Dimension nachrichtendienstlicher Tätigkeiten zum Vorschein gebracht. «Die Durchdringung der Kommunikation ist tief, fast flächendeckend und systematisch. »

veröffentlicht: 2. Mai 2016 11:32
aktualisiert: 2. Mai 2016 13:15
Quelle: SDA

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