5000 Hühner zu verschenken

08.06.2017, 13:39 Uhr
· Online seit 02.06.2017, 07:11 Uhr
5000 Schaffhauser Hühner könnten dieses Wochenende ihr letztes Frühstücksei für den Sonntagsbrunch legen. Denn in einer Woche sollen sie ausgestallt werden. Um wenigstens ein paar Legehennen vor dem Tod zu bewahren, sucht die Tierhilfe Schweiz nach Plätzen, an denen die Hühner ihren Lebensabend verbringen können.
Stephanie Martina
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Berta ist ein glückliches Huhn. Zusammen mit ihren gackernden Freundinnen lebt sie heute auf einem Hof im thurgauischen Birwinken. Anfangs 2016 hätte das Leben von Legehenne Berta jedoch beinahe ein abruptes Ende genommen: Denn in Bertas Hühnerstall fand eine Ausstallungsaktion statt, bei der ältere, inzwischen legeschwache Hennen aussortiert wurden. Berta war das letzte Huhn, das dem Tod entgehen konnte und ein neues Zuhause bekam.

5000 Hühner warten auf ein zweites Leben

Dass Berta ein zweites Leben erhalten hat, ist der Tierhilfe Schweiz mit Sitz im thurgauischen Mattwil zu verdanken. Derzeit setzt sich der Verein für 5'000 Hühner aus dem Kanton Schaffhausen ein, die als Legehennen ausgedient haben und am kommenden Wochenende zur Entsorgung abgeholt werden. «Einige Hennen werden zu Geflügel-Charcuterie-Produkten weiterverarbeitet, andere Hühner werden zu Biogas verarbeitet - auch jene aus Schaffhausen», bedauert Präsidentin Beatrice Baumann.

Um wenigstens einige der braunen Legehennen vor dem Tod zu bewahren und ihnen einen schönen Lebensabend zu bieten, hat die Tierhilfe Schweiz einen Aufruf gestartet. Sie sucht nach Leuten, denen die Hühner am Herzen liegen und den Tieren deshalb ein Zuhause in einem grosszügigen Stall mit Auslauf bieten wollen. «Warum sollte man diese Hühner entsorgen, wenn sie jemandem Freude machen und sogar noch Eier legen?», fragt Baumann.

Bisher haben sich rund 80 Interessierte bei ihr gemeldet. Baumann hofft, dass es bis in einer Woche noch mehr sein werden, damit mindestens 300 bis 400 Hühner gerettet werden können. Das Problem sei jedoch, dass es alleine in der Ostschweiz, dem Tätigkeitsgebiet von Tierhilfe Schweiz, mehrmals jährlich Ausstallungen gebe und deshalb die Ställe vieler Leute bereits voll seien.

Konsumentenverhalten sorgt für mehr Ausstallungen

Eine Legehenne wird in den Eierbetrieben nur während etwa 80 Wochen eingesetzt. Nach diesen 18 Monaten beginnt die Mauser, bei der sich das Federkleid erneuert. Zu diesem Zeitpunkt wird sie ausgestallt. Ein Huhn könne aber drei bis fünf Jahre alt werden. «Vielen Leuten ist nicht bewusst, dass Legehennen nur so kurz leben dürfen und ausschliesslich auf Legeleistung gezüchtet werden. Der Konsument sieht auf der Eierschachtel nur Hühner, die auf einer Wiese herumlaufen – häufig ist bereits das ein Trugbild», sagt Baumann.

«In der Schweiz werden jährlich mehrere hunderttausend Legehennen ausgestallt, von Jahr zu Jahr mehr», sagt Baumann. Der Grund dafür sei das Konsumentenverhalten. Die Eier der Hühner würden nach etwa 80 Wochen nicht mehr den Normen entsprechen, welche die Grossverteiler erfüllen müssen, um ihre Kunden zufrieden zu stellen. «Die Hühner legen dann nicht mehr 300 schöne Eier pro Jahr, sondern vielleicht etwas weniger mit weicherer Schale, mal ein bisschen grössere, mal kleinere. Heute akzeptiert der Konsument solche Eier nicht mehr. Wenn eines eine weichere Schale hat und kaputt geht, wird bereits reklamiert.»

Ein Problem sei auch, dass der Konsument so wenig wie möglich bezahlen wolle. Deshalb seien die Bauern gezwungen, aus den Tieren in kürzerer Zeit noch mehr herauszuholen. «Viele Leute haben Haustiere und würden für diese alles tun. Dabei vergessen sie leicht, dass Millionen andere Tiere leiden, weil wir gedankenlos sind. Jeder könnte etwas dazu beitragen, weniger konsumieren und statt auf das makellose Aussehen der Produkte mehr auf die Lebensqualität der Nutztiere achten. Dann müssten auch die Hühner weniger leiden», sagt Baumann.

Vom Nutztier zum Haustier

Dass es vor Ausstallungen zu Rettungsaktionen durch die Tierhilfe Schweiz oder anderen Organisationen kommt, ist den Bauern zu verdanken. «Die Bauern kommen jeweils auf uns zu, wenn sie einige ihrer Tiere platzieren möchten. Denn für die Bauern bedeutet es einen grossen Mehraufwand, wenn sie ihre Tiere einzeln rausgeben müssen und sie nicht einfach zur Entsorgung abholen lassen können.»

Eine Ausstallung falle vielen Bauern alles andere als leicht. Manche würden es kaum übers Herz bringen, ihre Legehennen ausstallen zu lassen. Es sei auch schon vorgekommen, dass ein Bauer Beatrice Baumann ein Huhn übergeben und gesagt habe: «Gell, für diese Henne suchst du einen besonders guten Platz.»

Der Bauer des Schaffhauer Eierbetriebs hat sich mit der Organisation «Rettet das Huhn» und der Tierhilfe Schweiz darauf geeinigt, so viele Tiere abzugeben, wie Interesse vorhanden ist. «Da der Bauer nicht möchte, dass alle Leute auf seinen Hof kommen, holen wir die Hennen ab und bringen sie zu ihren neuen Besitzern», sagt Baumann. Dies habe den Vorteil, dass der Tierschutz sich davon überzeugen könne, dass die Tiere ein schönes neues Zuhause erhalten werden.

Gemischte Gefühle

Wenn Beatrice Baumann an die bevorstehende Ausstallung denkt, wird sie traurig. «Wenn ich jeweils in einem Stall bin und weiss, dass ich nur 200 bis 300 Hennen mitnehmen kann und dann sehe, wie mir die Zurückgebliebenen hinterherschauen, ist das nicht schön», sagt die Mattwilerin den Tränen nahe. Und doch: Jedes gerettete Huhn sei ein gerettetes Leben. Für die Tierschützerin zählt aber nicht nur das einzelne Huhn, das einen Platz erhalten hat, sondern auch das Umdenken der Menschen. «Ich glaube, viele beginnen zu verstehen, dass das Tier nicht nur ein Chicken Nugget ist, sondern ein Lebewesen, an dem man Freude haben kann.» So freut sich Baumann über jedes kleine Happy End – wie über jenes von Henne Berta.

Möchtest du einem oder mehreren Hühnern einen schönen Lebensabend bieten? Wer über einen grossen Hühnerstall mit Auslauf verfügt, kann sich mit Beatrice Baumann von der Tierhilfe Schweiz in Verbindung setzen: info@tierhilfe-schweiz.ch

Wer sein Huhn selbst aussuchen möchte, muss sich noch einen Monat gedulden. Im Juli findet im Märstetten TG eine weitere Ausstallung statt, bei der Interessierte ihre Tiere direkt auf dem Hof abholen können.

veröffentlicht: 2. Juni 2017 07:11
aktualisiert: 8. Juni 2017 13:39
Quelle: stm

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