Appenzell Innerrhoden

Landsgemeinde: Wo Jung und Alt an Tradition festhalten

· Online seit 24.04.2022, 08:14 Uhr
Am Sonntag ist es endlich wieder so weit – die Innerrhödlerinnen und Innerrhödler dürfen wieder in den Ring stehen und die Hand erheben. Aber was ist an der Landsgemeinde eigentlich so speziell? Hier ein kleiner Einblick.
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«Hochgeachteter Herr Landammann, gschätzti liebi Mitlandlüüt ond Eidgenosse» – spätestens nach diesem Satz sollten alle Appenzellerinnen und Appenzeller, die sich am Sonntag im Ring auf dem Landsgemeindeplatz befinden, die Ohren gespitzt haben – denn die Landsgemeinde wird damit offiziell eröffnet. 

Ein Tag mit unzähligen schönen Momenten

«Muesmeel» (also Hühnerhaut für die Nicht-«Öserige») bekomme ich spätestens zum ersten Mal um Punkt 12 Uhr, wenn die Musikgesellschaft Harmonie Appenzell den ersten Ton des «Marcia Solenne» – dem traditionellen Landsgemeindemarsch – anspielt. Sie führt im Paradeschritt den Aufmarsch zum Landsgemeindeplatz an, gefolgt von Standeskommission, Kantonsgericht, den Rhodsfähnrichen und Ehrengästen.

Nicht nur die haben sich heute ganz besonders rausgeputzt. Am letzten Sonntag im April glänzt und schimmert es in unserem Kanton wie sonst nie. Aus allen Bezirken pilgern die Frauen in ihren schönsten Kleidern und mit herrlichen Frisuren, die Männer in Schale und mit frisch polierten Degen ins Dorf – so stehen wir dann alle gemeinsam im Ring und stimmen über die diesjährigen Geschäfte ab.

Los gehts. «S Woot ischt frei»: Die Diskussion ist eröffnet. Jede und jeder Stimmberechtigte darf den Stuhl betreten und sich zu den einzelnen Geschäften äussern. Dann gilt es ernst: Es kribbelt immer wieder, wenn man die rechte Hand in die Höhe streckt, um die eigene Zustimmung kundzutun – und sie dann natürlich auch rechtzeitig wieder einziehen sollte. Schliesslich das zufriedene Nicken, wenn ein Geschäft angenommen wird. Oder das Raunen, das durch die Masse geht, wenn ein Thema die Meinungen spaltet.

Die Spannung – und Entspannung – die sich während der Abstimmung im Ring abwechseln, ist nur eines von vielen Elementen, die den Tag zu dem machen, was er ist. Auch die ganz besondere Stimmung, die an ebendiesem Sonntag in den Gassen herrscht und das anschliessende Dorffest prägen sich ins Herz ein. Egal ob Sonne, Regen oder gar Schnee, jedes Jahr gibt es wieder einen neuen Höhepunkt oder etwas Spezielles, an das ich mich gerne erinnere.

Jung und Alt trifft man auch nach der Landsgemeinde im Dorfkern. Gemütlich durch die Gassen schlendern: schwierig. Überall bekannte Gesichter, mit denen man gerne das ein oder andere Schwätzchen abhält. Kaum einen Meter vorangekommen, schon trifft man die nächsten Freundesfreunde und stosst miteinander auf die diesjährige Landsgemeinde an. Natürlich wird neben dem Appenzeller Bier auch das ein oder andere «Landsgmends-Chrempfli» degustiert.

Ist das noch zeitgemäss?

Unsere Landsgemeinde: Trotz vieler Befürworter im Kanton auch ein Thema, das immer wieder in Kritik gerät. Die wohl Bekannteste: die hoch verspätete Einführung des Frauenstimmrechts. Erst seit 1991 dürfen auch wir Frauen an der Landsgemeinde teilnehmen – und das nur wegen einer Beschwerde vor Bundesgericht. Diese Wunde ist mittlerweile verheilt, doch es gibt weitere Punkte, die kritisch zu betrachten sind.

Ist es demokratisch, wenn nicht alle die Chance haben, abzustimmen? Man denke an Gastronomie-Betriebe, Pflegepersonal, Ortsabwesende oder ältere Generationen. Kann man wirklich neutral abstimmen, wenn Bekannte oder gar der Chef neben einem stehen? Und ist die Landsgemeinde überhaupt noch zeitgerecht?

Fragen, die durchaus gestellt werden müssen. Nichtsdestotrotz, unsere Landsgemeinde gehört für mich und auch viele andere aus Appenzell einfach dazu. Und ich freue mich, wenn es am Sonntag endlich wieder vom Landammann heisst: «We dem Vooschlag wet zuestimme, der erhebe die Hand» – dieses Jahr nach zwei Mal brieflich endlich wieder traditionell auf dem Landsgemeindeplatz.

veröffentlicht: 24. April 2022 08:14
aktualisiert: 24. April 2022 08:14
Quelle: FM1Today

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