Gontenbad

Mit dem Auto an die ukrainische Grenze: Stundenlang fahren und warten

08.03.2022, 11:09 Uhr
· Online seit 08.03.2022, 05:49 Uhr
Ein junges Paar aus Gontenbad hat sich dieses Wochenende spontan dazu entschieden, an die ukrainische Grenze zu fahren, um den Flüchtenden zu helfen. Im Flüchtlingszentrum in Polen angekommen, holte sie die Realität ein.
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Von Gontenbad nach Polen zu den Flüchtenden aus der Ukraine. Ein junges Paar aus dem Appenzellerland hat am Samstag spontan sein Auto mit Hilfsgüter gefüllt, um den Menschen in Not zu helfen. Nach 30 Stunden Hin- und Rückfahrt erzählen sie von ihren Eindrücken aus dem Flüchtlingslager.

«Wir konnten nicht mehr nur zusehen»

«Seit dem Ausbruch des Krieges hat uns das Thema Ukraine nicht mehr losgelassen», sagt Melanie, die ihren echten Namen nicht nennen will. Ihr 33-jähriger Partner und sie hätten sich machtlos gefühlt und den Drang verspürt, etwas zu tun. Besonders die Fernsehbilder der geflüchteten Familien an der polnischen Grenze hinterliessen grossen Eindruck.

«Die Idee, selber nach Polen zu fahren, kam meinem Freund ganz spontan», sagt die 27-Jährige aus Gontenbad. «Er stellte mich vor die Wahl, mitzukommen oder ihn gehen zu lassen. Natürlich habe ich sofort zugesagt.» Innerhalb von zwei Tagen organisierte das junge Paar Decken, Kleider, Lebens- und Arzneimittel, und füllte ein Auto damit.

15 Stunden Autofahrt ohne klares Ziel

Ohne sich gross vorzubereiten, fuhren die zwei durch Deutschland in Richtung Polen. «Wir sind 15 Stunden quasi durchgefahren, um möglichst schnell anzukommen», sagt Melanie.

Laut ihr haben sie schon auf der Autobahn eine grosse Solidarität gespürt. Fahrzeuge aus ganz Europa seien auf dem Weg gewesen, um zu helfen.

Erst im polnischen Grenzort Przemyśl konnte das Paar kurz durchatmen. Überall seien Helferinnen und Helfer gestanden und hätten den Weg zum Flüchtlingsaufnahmezentrum gewiesen.

Beim Anblick der Frauen und Kinder kamen die Tränen

«Beim Flüchtlingszentrum holte uns dann die Realität ein», sagt Melanie. Besonders der Anblick der vielen Frauen mit ihren Kindern sei hart gewesen: «Mir sind die Tränen gekommen, weil ich wusste, ich kann wieder nach Hause fahren, aber diese Frauen und Kinder nicht.»

Auf einem Parkplatz bauten Helferinnen und Helfer eine Suppenküche auf und teilten Essen aus. «Bei den Kindern war besonders die Schokolade beliebt», erinnert sich die junge Frau.

Essen und Hygieneartikel gefragt

Das Paar mussten auf dem Parkplatz einige Stunden in ihrem Auto warten, bis sie die Hilfsgüter abgeben konnten. «Zum Glück haben wir schon vor der Fahrt auf alle unsere Kisten in verschiedenen Sprachen geschrieben, was deren Inhalt ist», sagt Melanie. Sonst hätten sie noch länger auf dem Platz warten müssen.

Die Helferinnen und Helfer freuten sich besonders über gut haltbares Essen und Hygieneartikel. Laut der Appenzellerin sei Shampoo und Dosenessen sofort in das Lager getragen worden, die alten Kleider waren weniger beliebt.

Zuhause mit Kritik konfrontiert

Wieder zurück in der Schweiz wird die Aktion von vereinzelten Kritiken begleitet. Unter anderem hören sie den Vorwurf, dass private Helfer in Polen nur im Weg herumstehen würden. «Das stimmt so nicht, die Organisation vor Ort war gut und wenn man macht, was die Helfenden verlangen, dann geht es schnell», sagt die 27-Jährige.

Bei Reisen nach Polen gilt es trotzdem vorsichtig zu sein. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) schätzt die Situation an der ukrainischen Grenze als unübersichtlich ein. Der persönliche Eindruck von Melanie bestätigt das nicht. Die beiden haben sich jederzeit sicher gefühlt. Im Moment überwiegt für Melanie aber die Erschöpfung und die Müdigkeit: «Den Weg und die Zeit war es definitiv wert. Klar ist man müde, aber diesen Preis zahlen wir gerne.»

(noh)

veröffentlicht: 8. März 2022 05:49
aktualisiert: 8. März 2022 11:09
Quelle: FM1Today

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