So geht das mit der «Landsgmeend»

· Online seit 21.04.2016, 06:03 Uhr
Am Sonntag ist Landsgemeinde in Appenzell. Was das Stimmvolk von Appenzell Innerrhoden am Landsgemeinde-Sonntag eigentlich macht – und was es mit all den eingeschworenen Traditionen und kurios wirkenden Zeremonien auf sich hat.
Christine König
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Was tun die Appenzeller da eigentlich einmal im Jahr, wenn sie sich zur Landsgemeinde aufmachen? Politisieren? Feiern? Beides. Für viele Innerrhoderinnen und Innerrhoder ist die Landsgemeinde einer der wichtigsten Tage im Jahr. Die Vorbereitungen fängt schon weit davor mit dem Studium der Vorlagen und der Auswahl der Garderobe an. Der Tag beginnt und endet in fröhlicher Gesellschaft, dazwischen stehen die politischen Traktanden. Tags darauf nehmen sich viele Innerrhoder frei.

Der Brauch in Kürze

Seit 1403 versammeln sich die Innerrhoder Stimmberechtigten am letzten Sonntag im April auf dem Landsgemeindeplatz (ausser der letzte Sonntag fällt auf den Ostersonntag, dann verschiebt sich die Landsgemeinde auf den ersten Mai-Sonntag). An der Landsgemeinde wählen die Innerrhoder ihre Regierung, besetzen das Kantonsgericht und befinden über kantonale Sachgeschäfte. Auch der Ständerat wird alle vier Jahre gewählt. Seit 1991 dürfen Frauen abstimmen und wählen. Der politische Teil ist umrahmt von einem dichten Zeremoniell, der Tag als Ganzes ein Festtag.

Das musst du wissen

Aufzug: Der Aufzug zum Landsgemeindeplatz führt durch Appenzells Hauptgasse, ist genau durchchoreographiert und sehr festlich. Die Musikgesellschaft Harmonie geht zuvorderst, es folgen der Landweibel, die Standeskommisson, die Gerichtsmitglieder und die Ehrengäste.

Amtsmantel: Die Amtsträger aus Regierung und Gericht tragen den Amtsmantel, einen langen schwarzen Mantel. Die Kleidung steht für den «in Ehren und Rechten stehenden Mann». Als die Frauen 1991- also vor 25 Jahren - das Stimmrecht erhielten und damit auch gewählt werden konnten, wurde ihnen ein grauer Mantel zugeteilt. Darüber waren sie gar nicht erfreut. Mittlerweile tragen auch sie schwarz – allerdings keinen Hut und kein Seitengewehr; diese beiden Accessoires sind alleine den Männern vorbehalten.

Hut: Die männlichen Amtsträger tragen Hut, die Landammänner Zylinder. Während des Aufzugs durch die Hauptgasse halten die Männer ihre Hüte in der Hand aus Respekt gegenüber dem Wahlvolk. Denn zu diesem Zeitpunkt sind sie noch nicht wiedergewählt – erst nach der Wahl setzen sie ihre Kopfbedeckung auf.

Marcia solenne: Während des Aufzugs spielt die Musikgesellschaft die «Marcia solenne» des italienischen Komponisten Puzzi. Dazu gehen die Musikanten und Amtsträger würdevoll und sehr, sehr langsam. Für Aussenstehende mag der Schritt seltsam anmuten. Es ist eine ungewöhnliche – und so weit man weiss – einzigartige Interpretation eines Paradeschritts. Auch die Ehrengäste versuchen mitzumachen. Man sagt, die Einheimischen beobachten jeweils ganz genau, wie sie sich meistern.

Ring: Der Ring ist der mit Seilen abgegrenzte Bereich auf dem Landsgemeindeplatz, zu dem nur Stimmberechtigte Zutritt haben. Rund 5000 Personen finden darin Platz, das entspricht etwa der Hälfte aller Stimmberechtigten Innerrhodens. In den Ring gelangt man nur mit dem Stimmrechtsausweis. Als solcher gilt für Männer auch das Seitengewehr.

Seitengewehr: Männer tragen meistens das Seitengewehr als Stimmrechtsausweis bei sich. Es handelt sich dabei um Waffen, die früher Zeichen der «Ehr- und Wehrbarkeit» waren, also Säbel, Degen oder Bajonett. Vor der Landsgemeinde werden diese auf Hochglanz poliert.

Stuhl: Der Stuhl steht im Ring; es sind eigentlich drei Stühle. Gemeint sind damit die drei Podeste, auf der die Standeskommission und die Gerichtsmitglieder stehen. Während der Geschäfte können Stimmberechtigte, die das Wort ergreifen wollen, auf den Stuhl steigen und ihre Meinung kundtun.

Landammann: Der regierende Landammann leitet die Landsgemeinde. «Hochgeachteter Herr Landammann, hochgeachtete Damen und Herren, getreue liebe Mitlandleute und Eidgenossen» – mit diesen Worten eröffnet er die Versammlung. Der regierende und der stillstehende Landammann tauschen alle zwei Jahre die Posten, das heisst, dass die Landsgemeinde alle zwei Jahren nicht von demjenigen eröffnet wird, der sie danach leitet.

Eid: Der Eid des Landammannes und des Landvolkes ist ein emotionaler Augenblick. Der stillstehende Landammann liest den Text aus dem Landbuch vor, wendet sich dem regierenden Landammann zu und erläutert ihm die Eidesleistung. Auch das Volk legt den Landsgemeindeeid ab.

Standeskommission: So nennt man in Innerrhoden die Regierung. Die einzelnen Mitglieder heissen: regierender Landammann (Ratspräsident), stillstehender Landammann (sein Stellvertreter), Statthalter (Gesundheitsdirektor), Säckelmeister (Finanzdirektor), Landeshauptmann (Landwirtschaftsdirektor), Bauherr (Baudirektor) und Landesfähnrich (Justizdirektor).

Wahlen und Abstimmungen: Bis ins 18. Jahrhundert war die Landsgemeinde ausschliesslich für Wahlgeschäfte zuständig. Seither stehen auch Sachgeschäfte auf der Traktandenliste. Noch immer ist es aber so, dass die zu wählende Person während der Wahl den Stuhl verlässt und nach erfolgreicher (Wieder-)Wahl vom regierenden Landammann aufgefordert wird, seinen Platz wieder einzunehmen.

Mehren: Mehren heisst, dass der Landammann von Aug die Anzahl der hochgestreckten Hände für und gegen eine Vorlage/eine Person abschätzt. Manchmal lässt er mehrmals mehren. Ist das Resultat noch immer nicht eindeutig, kann er auszählen lassen.

Touristen: Die Innerrhoder Landsgemeinde ist eine Touristenattraktion – der Kanton ist nebst Glarus der letzte in der Schweiz, der die Tradition pflegt. Die Touristen stehen entlang der Hauptgasse und rund um den Landsgemeindeplatz, um diese Ur-Form der Demokratie live mitzuerleben.

Kulinarisches: Auch kulinarisch hat die Landsgemeinde einiges zu bieten. Zwischen dem Gottesdienst am Morgen und dem Beginn der Landsgemeinde gönnen sich die Innerrhoder einen Snack – meistens Siedwurst mit Kartoffelsalat. Die «Landsgemeendchrempfli» gibt es an diesem Tag vielerorts zu kaufen. Es handelt sich um ein Kräpflein mit Nussfüllung – unbedingt probieren.

Kritik: Die Landsgemeinde erfährt immer wieder Kritik: Das Stimmgeheimnis ist wegen der Stimmabgabe per Hand nicht gewährleistet; das Stimmenmehr zu ungenau; die Teilnahme vor Ort nicht jedermann möglich. Dem gegenüber stehen die emotionale Verbundenheit der Innerrhoder zu ihrer Landsgemeinde und – ganz pragmatisch – die Effizienz. Innert weniger Stunden werden einmal jährlich alle kantonalen Sach- und Wahlgeschäfte (mit Ausnahme des Nationalrats) abgehandelt – also deutlich schneller als eine Urnenabstimmung es je sein kann.

veröffentlicht: 21. April 2016 06:03
aktualisiert: 21. April 2016 06:03
Quelle: red

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