Contact Tracing in Bars

Das Puff mit den (illegalen) Kontaktlisten

20.08.2020, 05:49 Uhr
· Online seit 20.08.2020, 05:44 Uhr
Kontaktlisten in Bars oder Clubs werden teilweise öffentlich aufgelegt – das ist verboten und wird von Datenschützern scharf kritisiert. Ein St.Galler Clubbetreiber fordert eine einheitliche Lösung.
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Maria Müller, St.Gallen* – neben Namen und Wohnort stehen eine Handynummer und eine E-Mail-Adresse. Rund 100 Namen sind handgeschrieben in die Tabelle auf einem Papier eingetragen, das mit weiteren Seiten zusammengeheftet auf einem klebrigen, schwarzen Tisch am Eingang einer Bar liegt. «Ey, wötsch no paar Handynummere?», witzelt ein Typ, der mit drei Kumpels die Bar betreten hat und nun den Bund Blätter breit lächelnd «analysiert». Die Männergruppe entscheidet sich, statt ihres richtigen Namens ein Pseudonym zu verwenden. «Das lueget eh niemert ah», der Kommentar dazu.

«Wir können nicht alle Clubs abklappern»

Die beschriebene Szene, die sich ungefähr so im St.Galler Nachtleben abspielte, ist keine Ausnahme. Beobachtungen von FM1Today zeigen, dass es diverse Bars gibt, welche die Kontaktlisten öffentlich auflegen. Das ist verboten. Allgemein ist es nicht erlaubt, Listen so zu führen, dass Gäste Kontaktdaten von anderen Gästen sehen können.

Hugo Wyler ist Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten EDÖB. Dieser ist für datenschutzrechtliche Anliegen zwischen Privatpersonen zuständig und somit auch dafür, dass die Clubs die datenschutzrechtlichen Bestimmungen einhalten. «Die Daten, die Gäste angeben, dürfen nur Personen sehen, welche die Daten im Falle eines Contact Tracings an die Behörden weitergeben», sagt Wyler.

Dass Bars dennoch solche Listen öffentlich auflegen, sei kaum zu verhindern: «Wir können nicht alle Restaurants und Clubs, alle 140'000 Betriebe abklappern und täglich kontrollieren.» Die Behörde wurde rund um das Coronavirus vom Gesetzgeber so ausgestattet, dass sie bei wirklich grossen Fällen einschreiten kann.

Behörde kann keine Bussen verteilen

Zwar kümmert sich die Behörde auch um kleine Fälle, bei denen es krasse Widersprüche gibt, aber selbst der eidgenössische Datenschutzbeauftragte kann nicht mehr tun, als die Betriebe zu ermahnen. «Von Gesetzes wegen dürfen wir als Datenschutzbeauftragte keine Bussen verteilen.» Sollten Club- oder Bargäste eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte vermuten, können sie als Privatperson auf dem zivilrechtlichen Weg wegen datenschutzwidrigen Verhaltens klagen. Bei so einem kleinen Fall bringe das aber wenig. «Wir raten den Besuchern, den Betreiber auf den Verstoss aufmerksam zu machen oder sich an uns zu wenden.» Häufig liessen Betreiber mit sich reden.

Gänzlich auf das Angeben von Daten zu verzichten, geht nicht. «Wenn ein Schutzkonzept das Angeben von Kontaktdaten vorsieht, ist der Gast dazu verpflichtet.» Keine Angaben, kein Anlass. Werden aus Angst eines Missbrauchs falsche Daten hinterlegt, sind keine Kontrollen und Bussen mehr möglich und das Contact Tracing wird ad absurdum geführt.

Auch der Thurgauer Datenschutzbeauftragte Fritz Tanner kennt das Dilemma mit den Listen und spricht einen weiteren kritischen Punkt an: «Es besteht die Gefahr, dass Listen länger als erlaubt aufbewahrt werden.» Von Gesetzes wegen müssen Kontaktdaten nach 14 Tagen gelöscht werden.

In diesem Punkt sieht Fritz Tanner das grösste Verbesserungspotenzial. «Derzeit ist mir noch nicht bekannt, wer überprüfen wird, ob die Besucherlisten auch wirklich gelöscht oder vernichtet wurden und wie sichergestellt wird, dass die Löschung umfassend erfolgte.» Deshalb sei es besonders wichtig, dass Gäste ihre E-Mails oder Anrufe gut überprüfen: «Werden die Besucherlisten zu einem späteren Zeitpunkt unerlaubt für Werbezwecke verwendet und die betroffenen Personen wollen wissen, woher die Daten stammen, kann es für die Betriebe unangenehm werden.» Fritz Tanner hofft, dass das genügt, damit Daten nicht missbräuchlich verwenden werden.

«Es braucht ein einheitliches System»

Die derzeitige Situation mit dem Erfassen der Daten ist auch für Daniel Weder, Geschäftsführer des St.Galler Clubs Kugl und Vorstandsmitglied des Vereins Nachtgallen, zu dem mehrere Clubs und Bars in St.Gallen gehören, unbefriedigend: «Es gibt aktuell kein einheitliches System, das für alle funktioniert. Es gibt keine Vorgaben, wie die Daten erfasst werden müssen.» Er spricht von einem «Chaos», das derzeit rund um die Kontakterfassung herrsche. Zwar sei vorgegeben, welche Daten erfasst werden müssten, nicht aber, auf welche Art.

In St.Gallen benutzen einige Lokale das System mit dem Einscannen eines QR-Codes, so auch das Kugl. Oder Tickets müssen im Vorverkauf schon personalisiert werden. «Es gibt aber immer noch Gäste, die kein Smartphone besitzen oder die Handyrechnung nicht gezahlt haben und deshalb schriftlich erfasst werden müssen», sagt Weder. Wichtig sei auf jeden Fall, dass die Liste von einer Person geführt werde, die vertrauenswürdig sei und: «Die Clubs müssen mit den Listen so umgehen, dass sie nicht in Umlauf geraten.»

Daniel Weder hofft auf Reaktionen aus der Politik: «Es braucht ein einheitliches System, mit dem die Clubs arbeiten und Daten sauber erfasst werden können.»

Bis es ein solches System gibt, bleibt dem Gast nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen und zu vertrauen, dass der Name diskret behandelt wird und nicht, wie der von Maria Müller, auf einer öffentlichen Liste auf einem klebrigen, schwarzen Tisch bei Eingang einer Bar steht.

*Name erfunden

veröffentlicht: 20. August 2020 05:44
aktualisiert: 20. August 2020 05:49
Quelle: FM1Today

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