Zugegeben: Die «einfache Betriebsanleitung» zu den Wahlen und Abstimmungen, wie Benedikt van Spyk das neue Gesetz nennt, ist auf den ersten Blick nicht als solche zu erkennen. 115 Seiten lang, umfasst das «Gesetz über Wahlen und Abstimmungen» sieben Kapitel und zig Unterkategorien. Doch der «Schinken», der das bestehende Gesetz aus dem Jahr 1971 ablöst, hat es in sich.
Sorry Juso, der Listenplatz 1 ist nicht mehr
Eine der grundlegendsten Änderungen betrifft die Wahlvorschläge im Kanton St.Gallen. So konnte man früher theoretisch einen Tag nach der Kantonsratswahl eine neue Liste für die nächsten Wahlen eingeben, obwohl die nächsten Wahlen noch vier Jahre entfernt waren. Der Listenplatz 1 war einem somit sicher. «Diese Praxis ist vor allem bei Jungparteien beliebt», sagt van Spyk. Aber auch grosse Parteien machen ihren Anspruch auf den Listenplatz 1 geltend. «Wählerstarke Parteien haben auch schon durchblicken lassen, dass ihnen der erste Platz zustehen würde, allein nur wegen ihrer Grösse.» In Zukunft sollen aber alle Parteien die gleich grossen Chancen bekommen: «Der Kanton legt neuerdings im Vorfeld der Wahl den erstmöglichen Termin für die Eingabe der Wahlvorschläge fest.» Wenn sich also Jungparteien die Nummer 1 sichern wollen, wird am Stichtag das Los entscheiden.
Gemeinden «vergessen» Stimmzettel
Im Gespräch mit van Spyk kristalliert sich heraus, dass bei jeder Abstimmung, bei jeder Wahl, Fehler passieren. «Während einer Auszählung sind wir ständig im Gespräch mit den Kommunen», sagt van Spyk. Um Abweichungen und Fehler auf ein Minimum zu reduzieren, arbeitet der Kanton St.Gallen seit letztem Jahr mit dem sogenannten «Plausi-Tool». Ein 3000 Franken teures Programm, das Ergebnisse bis ins Detail analysiert und sofort Alarm schlägt, wenn etwas nicht plausibel erscheint und dementsprechend schlicht nicht richtig sein kann.
«Wenn wir bei einer Abstimmung einen klaren Trend erkennen, der sich durch alle Gemeinden zieht, dann werden wir hellhörig, wenn eine Gemeinde aus der Reihe tanzt.» Mit dem betroffenen Stimmbüro wird dann Kontakt aufgenommen. Ein Fall bleibt van Spyk dabei in guter Erinnerung: «Zuerst wurde festgehalten, dass alles korrekt sei, doch nach zwei Stunden rief die Gemeinde uns nochmal an und räumte ein, noch ein paar Stimmzettel gefunden zu haben.» In welchen Gemeinden solche Fehler passiert sind, will van Spyk nicht verraten. Nur so viel: «Die Gemeinden machen einen sehr guten Job, trotzdem werden bei jeder Abstimmung auch Fehler entdeckt.»
Neue Berechnung des absoluten Mehr
Das neue Gesetz überarbeitet auch die Neuberechnung des absoluten Mehr. Bis jetzt war die Handhabe wie folgt: Die Stimmberechtigte bekommt einen Wahlzettel mit zehn Namen, zum Beispiel für eine Stadtratswahl. Sieben davon können in den Rat gewählt werden. Macht die Stimmberechtigte bei einem Kandidaten einen Haken, so wird der Stimmzettel für die Berechnung des absoluten Mehr berücksichtigt, obwohl sechs Stimmen nicht vergeben wurden. «Neu wird für das absolute Mehr nicht mehr der Stimmzettel berücksichtigt, sondern die Zahl der Stimmen, die für Kandidaten abgegeben wurden», sagt van Spyk. So werden leere oder ungültige Stimmen nicht mehr berücksichtigt und es könnten in Zukunft zweite Wahlgänge einfacher vermieden werden.
Der E-Voting-Kampf
Die elektronische Stimmabgabe ist für van Spyk einerseits ein grosses Anliegen, andererseits ein Sorgenkind. Der 38-jährige Jurist stört sich manchmal daran, dass die elektronische Stimmabgabe von Kritikern pauschal als unsicher abgetan wird. «Egal, ob man an der Urne oder brieflich abstimmt und wählt, die Handhabe der Daten ist bereits jetzt weitgehend digital. Wir alle sind vom Internet durchdrungen, das ist eine Realität, der wir uns auch ohne E-Voting stellen müssen.» Ausserdem fahre der Kanton in Sachen E-Voting eine sehr vorsichtige Schiene. «Aktuell nutzen knapp sechstausend Bürgerinnen und Bürger die elektronische Stimmabgabe aktiv. Eine Ausweitung wollen wir in den kommenden Jahren auf freiwilliger Basis anbieten, wenn sich das System bewährt.»»
Das neue Gesetz wird voraussichtlich in der Junisession 2018 in erster Lesung im Kantonsrat beraten und soll per 1. Januar 2019 in Kraft treten.