Ostschweiz
Graubünden

Der Wolf wird zum Abschuss freigegeben – so reagiert Graubünden

Präventive Abschüsse

«Seit Jahren dafür eingesetzt» – Bündner freuen sich über einfachere Wolfsabschüsse

02.11.2023, 08:15 Uhr
· Online seit 01.11.2023, 18:37 Uhr
Der Wolfsbestand in der Schweiz wächst rasant, besonders in den Bergkantonen werden seit langem erleichterte Abschussbedingungen gefordert – und diese bekommen sie nun. Bereits ab 1. Dezember 2023 dürfen Wölfe präventiv geschossen werden. Im Kanton Graubünden begrüsst man diesen Entscheid.
Nico Conzett
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Kaum ein Tier sorgt für solch emotionale Debatten in der Schweiz wie der Wolf: Während die einen appellieren, Mensch und Tier müssten ihren Lebensraum doch teilen können, ist für andere klar, dass das Grossraubtier ein einziges Ärgernis oder gar eine Gefahr ist.

Insbesondere die Bauern in den Bergkantonen, deren Nutztiere regelmässig Opfer von Wölfen werden, fordern seit längerem erleichterte Abschussbedingungen. Nach mehreren Anläufen bekommen sie diese jetzt: Der Bundesrat hat am Mittwoch beschlossen, eine vom Parlament erarbeitete Anpassung der Jagdverordnung in Kraft zu setzen. Bereits ab dem 1. Dezember wird damit der präventive Abschuss von Wölfen, also bevor sie überhaupt Schaden anrichten, ermöglicht, wie Umweltminister Albert Rösti an einer Medienkonferenz am Mittwochnachmittag mitteilte.

Ganze Rudel dürfen abgeschossen werden

Doch nicht nur der präventive Abschuss wird möglich, sondern auch die Auslöschung ganzer Rudel. Bisher durften vorwiegend Jungtiere und problematische erwachsene Tiere auf Gesuch beim Bundesamt für Umwelt hin geschossen werden. Rösti betonte die, aus seiner Sicht, grosse Dringlichkeit der Änderung:

Noch 2020 lehnte das Schweizer Volk nach einem Referendum eine Revision des Jagdgesetzes, das vereinfachte Abschüsse möglich gemacht hätte, ab. Doch der deutliche Anstieg der Wolfspopulation in den Folgejahren rief das Parlament wieder auf den Plan. Während es laut den Zahlen des Bundes 2020 noch elf Wolfsrudel und etwas mehr als 100 Tiere in der Schweiz gab, sind aktuell bereits 32 Rudel unterwegs mit über 300 Tieren. Auch die Nutztierrisse sind mit 1480 Fällen mehr als dreimal so hoch wie noch 2020.

Jagdfieber in Graubünden?

Die Änderung in der Jagdverordnung sieht neu einen Minimalbestand von zwölf Rudeln in der ganzen Schweiz vor – also so viele wie aktuell alleine in Graubünden leben. Dazu kommen regionale Minimalwerte von jeweils zwei oder drei Rudeln, je nach Grösse der Region.

Theoretisch könnten in Graubünden damit also neun Rudel komplett ausgelöscht werden. Bricht dort nun das Jagdfieber aus? «Wir begrüssen den Entscheid des Bundes sicherlich. Wir haben uns seit Jahren für eine proaktive Lösung mit Präventivabschüssen eingesetzt», sagt Arno Puorger vom Bündner Amt für Jagd und Fischerei gegenüber FM1Today. Es sei auch klar, dass die neue Regelung Abschüsse ermöglichen werde, welche man bisher noch nicht beantragen konnte.

In Bezug auf die Abschüsse ganzer Rudel, kündigte Puorger an, dass nun sämtliche Rudel im Kanton überprüft werden, ob sie die Bedingungen für eine Dezimierung oder Auslöschung erfüllen. Auch wenn noch nicht klar ist, wie viele Wölfe «entfernt» werden, sagt Puorger:

Weiterhin gilt nämlich, dass für die Regulierung ein Gesuch beim Bundesamt eingereicht werden muss. Bundesrat Rösti betonte, dass klare Bedingungen erfüllt sein müssen, ehe die missliebigen Tiere getötet werden dürfen. So gilt für die Ausrottung eines ganzen Rudels, dass dieses zuerst eine Gefahr für Mensch oder Nutztier, in Spezialfällen auch für Wildtiere, darstellen muss. «Wir entfernen ausschliesslich Wölfe und Rudel, die eine Gefährdung darstellen», so Rösti. Er wehrte sich damit gegen die Bezeichnung «Wolfsmassaker», welche in der Vorberichterstattung in den Medien kursierte. «Diese ist überhaupt nicht angebracht», so der SVP-Bundesrat.

Dennoch dürfte eine grosse Zahl der Wölfe in der Schweiz nun tatsächlich dem Tod geweiht sein. Eine Reduzierung von 32 auf 12 Rudel entspräche einer Dezimierung des Bestandes um knapp zwei Drittel. Die Verantwortlichen beim Bundesamt betonten jedoch ebenfalls, dass unauffällige Rudel nicht geschossen werden dürfen und dass es deshalb auch möglich sei, dass mehr als die Minimalmenge von zwölf Rudeln in der Schweiz leben könnte. Laut Bundesrat Rösti besteht die Hoffnung, dass die Wölfe rasch mehr Scheu zeigen würden, wenn sie die Gefahr eines Abschusses spüren.

Fragezeichen bei der Finanzierung

Vorgenommen werden dürfen die Abschüsse nur durch Fachpersonal, also der Wildhut und speziell ausgebildeten Personen. Auch Jäger benötigen eine zusätzliche Schulung, da Wolfsabschüsse schwierig sind. Arno Puorger erklärte kürzlich gegenüber der «Bauernzeitung»: «Wir brauchen mehr Ressourcen bei der Wildhut.» Gegenüber FM1Today bestätigt er, dass es mittelfristig mehr Personal brauchen werde, um die Wolfsregulierung umzusetzen. Obwohl man mit der heutigen Entscheidung des Bundes zufrieden sei, habe man bezüglich der Finanzierung noch keine Planungssicherheit.

Klar hingegen ist, dass das Thema Wolf weiterhin für emotionale Debatten in der Schweiz sorgen wird – nebst der Kritik von Umwelt- und Tierschutzorganisationen wird durch den Parlamentsentscheid auch der Vorwurf der Missachtung des Volkswillens laut, da sich dieses vor nur gerade drei Jahren gegen gelockerte Abschussbestimmungen ausgesprochen hatte.

veröffentlicht: 1. November 2023 18:37
aktualisiert: 2. November 2023 08:15
Quelle: FM1Today

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