Ukrainische Schulkinder

Integration in die Schule: «Dürfen die Lehrkräfte nicht verheizen»

30.03.2022, 11:01 Uhr
· Online seit 30.03.2022, 07:02 Uhr
Die Stadt Chur sucht nach Lehrkräften, Hilfspersonen und Übersetzern, um die ukrainischen Flüchtlingskinder ins Schulwesen zu integrieren. Dabei sei es wichtig, die Lehrerschaft nach der kräftezehrenden Coronakrise nicht übermässig zu strapazieren. Auch in Frauenfeld ist die neue Herausforderung präsent.
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«Die Schule bietet Kindern aus der Ukraine eine Alltagssituation, die Sicherheit und Normalität vermittelt», schreibt die Stadt Chur anlässlich einer breiten Stellenausschreibung. Sie braucht Verstärkung, um mit den erwarteten Kindern aus der Ukraine umgehen zu können.

«Wir haben verschiedene Szenarien erstellt», sagt Stadtrat Patrik Degiacomi. «Bei einem  mittleren Szenario gehen wir von 120 ukrainischen Schulkindern aus, es könnten aber auch doppelt so viele werden.» Derzeit sei alles hypothetisch, die Einschätzung der Situation schwierig.

Der Pool soll gefüllt werden

Bis jetzt wurden in Chur erst vier ukrainische Kinder eingeschult. Auch bei sehr defensiven Schätzungen sei aber davon auszugehen, dass die Schulen der Stadt Chur ohne zusätzliches Personal «nicht durchkommen werden», sagt Patrik Degiacomi, der das Departement für Bildung, Gesellschaft und Kultur unter sich hat.

Das Ziel der Ausschreibung sei deswegen, einen Pool mit geeigneten Leuten anzulegen. Konkret sucht Chur nach diplomierten Lehrern, nach Dolmetscherinnen und Betreuungspersonen. Sie hätten bereits mehrere Bewerbungen erhalten, sagt Degiacomi: «Es zeigt sich aber, dass es schwierig ist, Lehrpersonen mit anerkanntem Diplom zu finden – dem entspricht nur eine Bewerbung.»

Bereits beim mittleren Szenario – also etwa 120 Kindern – brauche es jedoch mindestens sechs zusätzliche Lehrpersonen mit Diplom.

Rein ukrainische Klassen absehbar

In Chur gibt es auch unter normalen Umständen Sprachintegrationsklassen. «Diese sind bunt gemischt», sagt Degiacomi, «Die Kinder stammen aus Syrien, Eritrea, Afghanistan, aber auch aus europäischen Ländern.» Jetzt sei aber von so vielen Kindern aus der Ukraine auszugehen, dass es rein ukrainische Klassen zur Sprachintegration geben dürfte.

Normalerweise sind Kinder, welche noch kein Deutsch sprechen, drei Monate in der Sprachintegrationsklasse, bevor sie langsam in eine Regelklasse integriert werden. An diesem System wollen die Churer Schulen grundsätzlich festhalten.

Aber auch hier zeigen sich Probleme: Freie Plätze in den Regelklassen gibt es eigentlich nicht, schon gar nicht so viele.

«Lehrpersonen nicht verheizen»

Die Herausforderungen für die Lehrpersonen seien ohnehin gross. «Es gibt auch Kinder mit speziellem Förderbedarf, sei es sprachlich oder vom Verhalten her. Da kann man nicht einfach in jede Klasse systematisch ein, zwei oder drei Kinder hineinplatzieren.»

Denn auch für die Lehrkräfte wäre eigentlich Erholung angesagt. «Die Coronakrise steckt vielen noch in den Knochen», sagt Degiacomi. Die Hilfsbereitschaft sei im Moment sehr gross. Trotzdem macht sich der Stadtrat Sorgen, dass die Stimmung kippen könnte. Die Menge an Belastungen im Schulsystem sei an vielen Orten an der oberen Grenze. «Wir stehen an einem kritischen Punkt und müssen darauf acht geben, die Lehrkräfte nicht zu verheizen.»

Auch Frauenfeld stellt Leute ein

Chur bemüht sich zwar mittels Stellenausschreibung neues Personal zu finden, doch die Situation in den Ostschweizer Städten scheint überall vergleichbar: Man weiss nicht, wie viele Flüchtlinge und Kinder eintreffen werden, deswegen werden Szenarien erstellt und Leute zusammengetragen, die auf Abruf verfügbar sind.

So auch in der Thurgauer Hauptstadt Frauenfeld. «Wir haben nach Lehrpersonen und Unterrichtsassistenzen gesucht und werden diese im Laufe der Woche einstellen, sodass wir nach den Frühlingsferien mit einer zweiten Integrationsklasse in der Primarschule starten können», sagt Andreas Wirth, Präsident der Frauenfelder Schulgemeinden.

Derzeit gingen sie, je nach Szenario, von 20 bis 80 ukrainischen Kindern aus. Die Schätzung gestalte sich jedoch schwierig. «Ich gehe davon aus, dass die Anmeldungen in der nächsten Zeit weiter zunehmen. Die betroffenen Personen dürfen sich ja drei Monate als Touristen hier aufhalten, bevor sie sich anmelden müssen», sagt Wirth.

Nicht nur eine Herausforderung für die Lehrpersonen

Mittlerweile nehmen bereits ukrainische Kinder am Unterricht teil. Andreas Wirth wollte selbst sehen, wie der Unterricht zusammen mit den Kindern aus der Ukraine funktioniert: «Sie arbeiten in der Schule wie alle anderen Kinder auch – aber man merkt ihnen natürlich an, dass sie viel erlebt haben, dass sie von ihrem zu Hause weg mussten. Das ist eine Herausforderung – für die Lehrpersonen, genauso wie für die Kinder.»

Die Schule sei eine Alltagssituation, die Sicherheit und Normalität vermittelt, heisst es in der Stellenausschreibung der Stadt Chur. Es wäre schön, wenn diese Werte bald auch in der Ukraine wieder einkehren würden. Anlass zur Hoffnung gibt es im Moment jedoch wenig.

veröffentlicht: 30. März 2022 07:02
aktualisiert: 30. März 2022 11:01
Quelle: FM1Today

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