Rutschendes Dorf will nicht tatenlos zusehen

25.07.2019, 09:32 Uhr
· Online seit 25.07.2019, 06:52 Uhr
Ein Dorf – ständig in Bewegung. Brienz, im Bündner Albulatal, rutscht talwärts. Dem Dorf droht aber auch die Gefahr von oben. In den nächsten Jahren könnte es einen grossen Felssturz geben. Geologen untersuchten das Problem, Ergebnisse liegen aber erst in zwei Jahren vor. Unterdessen rüstet sich das Dorf für den Ernstfall.
Praktikant FM1Today
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Rund hundert Menschen wohnen im beschaulichen Dorf Brienz. Es liegt im Albulatal. Durch das Dorf fährt stündlich in Richtung Lenzerheide und Davos ein Postauto. Doch etwas ist an Brienz anders, als an so vielen kleinen Dörfern im Kanton Graubünden. Jährlich rutscht sowohl der Hang oberhalb des Dorfes als auch das Dorf selbst talwärts.

Hang rutscht schneller als Dorf

Dem kleinen Bündner Dorf, welches seit 2015 Bestandteil der Gemeinde Albula-Alvra ist, drohen zwei Gefahren. Zum einen ist es der Berg, welcher mit bis zu viereinhalb Meter pro Jahr rutscht. Zum anderen das Dorf selbst, welches mit rund einem Meter pro Jahr unterwegs ist. «Es bewegt sich auf einer bis zu 150 Meter dicken Felsscholle», schreibt die Gemeinde Albula-Alvra in einer Mitteilung. Die grössere Gefahr ist aber ganz klar der Berg. Rutscht dieser so weiter wie bisher, drohe dem Dorf in den nächsten Jahren ein Bergsturz.

Evakuationspläne ausgearbeitet

Geologen untersuchen seit letztem Jahr den Untergrund und wollen so herausfinden, wie man die Rutschung stoppen könnte. Die Ergebnisse werden aber erst in rund zwei Jahren vorliegen. Dies ist aber angesichts der drohenden Gefahr eine lange Zeit. Deshalb hat die Gemeinde Albula-Alvra Evakuierungspläne ausgearbeitet. Mit diesen soll das Dorf innerhalb von sechs Stunden geräumt sein. «Als zum ersten Mal von Evakuation geredet wurde, ist uns das schon brutal eingefahren», sagt Georgin Bonifazi, Bewohner von Brienz, gegenüber der SRF-Sendung Rendez-vous.

Hilfe gefordert

Nebst den Evakuierungsplänen erwirkte die Gemeinde auch ein sogenanntes Betretungsverbot. Wer das Gebiet oberhalb des Dorfes trotzdem betritt, muss mit einer Busse von bis zu 5000 Franken rechnen. Ein Theoretischer Physiker kommentierte unter dem SRF-Artikel, er könne keine Ratschläge geben, aber «diese Gemeinde und alle ihre Einwohner verdienen sofort die beste Unterstützung und Beratung seitens Kanton und Bund».

Hang wird 24/7 überwacht

Zurück ins Dorf. Mit einem Messsystem überwachen die Geologen den Hang ständig. Nachdem sich dieser im ersten Halbjahr 2019 schneller bewegte, hat er sich langsam wieder eingependelt. Auch das Dorf rutscht konstant talwärts. «Für den kommenden Monat ist ein Ereignis sehr unwahrscheinlich», so die Gemeinde. Würde ein grosser Abbruch bevorstehen, wird sich dies normalerweise schon Wochen vorher zeigen. Entsprechend bleibt Zeit zum reagieren.

Hang rutscht schon seit über einem Jahrhundert

Das Hangproblem von Brienz ist kein neues. Rutschte das Dorf bis vor 20 Jahren noch wenige Zentimeter pro Jahr, ist es jetzt rund einen Meter. Begonnen hat der Rutsch des Hangs oberhalb des Dorfes bereits vor über 140 Jahren. Mitunter der Grund dafür dürfte der Grossbrand von Brienz, welcher vor 145 Jahren stattfand, sein. Bei diesem wurde in einer Nacht fast das ganze Dorf zerstört. Danach musste Wald abgeholzt werden. Aufgrund längerer Regenperioden setzte sich dann der Hang in Bewegung.

Problematisch ist dabei auch der Fluss Albula. Dieser trägt die unter dem Dorf hervorquillenden Felsmassen ab. So verliert das Ganze den Halt. Bis eine Lösung gefunden ist, dürfte das Dorf weiterhin mit rund einem Meter pro Jahr in Richtung Tal rutschen.

veröffentlicht: 25. Juli 2019 06:52
aktualisiert: 25. Juli 2019 09:32
Quelle: ham

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