«Ostschweiz ist rückständiger»

28.09.2015, 16:10 Uhr
· Online seit 28.09.2015, 16:06 Uhr
Der Anteil an Nationalratskandidatinnen ist in der Region rückläufig. Für Frauenrechtlerin Julia Onken sind die Ostschweizer zu rückständig.
David Scarano
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Mehr Kandidatinnen auf nationaler Ebene: So lautet das Fazit, wenn man die Nationalratswahlen 2011 und 2015 vergleicht. Dieses Bild stimmt nicht für die Ostschweiz. Der Anteil hat in den Kantonen St. Gallen und Thurgau abgenommen. In beiden Appenzell ist er bei null Prozent geblieben.

Die Thurgauer Frauenrechtlerin Julia Onken überrascht dies nicht. «Die Ostschweiz ist eine Landregion und damit rückständiger», sagt sie. Die Kritik richtet sie nicht nur an die Männer. «Leider sind auch die Frauen rückständiger.» Das traditionelle Familienmodell sei fest in den Köpfen drin. Die Errungenschaften der Frauenbewegung, unter anderem sexuelle und wirtschaftliche Unabhängigkeit, würden hier als Schnee von gestern betrachtet. «Das Bild, dass sich eine Mutter 24 Stunden am Tag um das eigene Kind kümmern muss, ist sehr präsent. Es ist gar stärker geworden», sagt Onken gegenüber FM1Today.

Frauen selber Schuld

Gemäss Onken hat dieses traditionelle Lebensmodell Folgen. Frauen würden sich nicht für die Politik interessieren, sie würden diese als reine Männerdomäne betrachten. «Die Frauen übersehen dabei, dass die Politik sie direkt betrifft», sagt die streitbare Thurgauerin. Sie veranschaulicht dies mit einem aktuellen Beispiel. Viele Frauen würden derzeit jammern, weil das AHV-Alter erhöht wurde. Doch für Onken müssen sie sich die Frage gefallen lassen, was sie dagegen getan haben. «Sind die Frauen auf die Strassen gegangen?»

«Gesellschaft braucht die Intelligenz der Frauen»

Die weibliche Partizipation an der Politik lässt sich laut Onken nur durch eine grundlegende veränderte Geisteshaltung verbessern. «Solange nicht jedem ländlichen Mann bewusst wird, dass es schädlich für die Gesellschaft ist, wenn man Frauen ausschliesslich zu Hause einbindet, wird sich nichts ändern.» Unsere Gesellschaft brauche die Intelligenz der Frauen, nicht weil sie die besseren Politiker sind. «Sie tragen aber dazu bei, dass die Politik abgerundeter wird. Frauen bringen andere Wertvorstellungen und Lebensmodelle ein», so Onken. Sie verweist auf Studien, die aufzeigen, dass Firmen mit einer geschlechterdurchmischten Führung bessere Leistungen erbringen.

Frauenquoten und Krippenplätze

Onken hat auch zwei konkrete Forderungen. «Wir brauchen eine flächendeckende Kinderbetreuung. Ohne können sich Frauen nicht politisch engagieren.» Sie bringt zudem eine Frauenquote in Spiel, dies obwohl sie grundsätzlich gegen eine ist. «Aber sie würde helfen, dass man sich mit der Problematik auseinandersetzt.»

veröffentlicht: 28. September 2015 16:06
aktualisiert: 28. September 2015 16:10
Quelle: red

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