Ostschweiz

Schallplatten-Boom: Vinyl-Presswerke kommen nicht mehr nach

30.08.2021, 08:07 Uhr
· Online seit 29.08.2021, 07:12 Uhr
Schallplatten verkaufen sich so gut wie schon lange nicht mehr. Doch die Vinyl-Presswerke kommen kaum noch nach, es kommt zu Lieferverzögerungen. Bands und Labels müssen lange Wartezeiten in Kauf nehmen.
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Die Nadel trifft auf die Platte und es knistert. Es ist wohl für Plattenfans das schönste Geräusch überhaupt. Derzeit brauchen sie aber viel Geduld. Die Nachfrage nach neuen Platten ist grösser als die Produktionskapazität der Vinyl-Presswerke.

Auch die St.Galler Band Catalyst musste feststellen, dass die Wartezeiten länger sind. «Es ist schweizweit und im Ausland ein Thema. Wir haben eine Produktionsfirma in der Schweiz, die CDs selbst herstellt, die Platten aber im Ausland pressen lässt. Die Verzögerungen sind teils massiv, bei uns hält es sich aber in Grenzen», sagt Ramon Wehrle, Schlagzeuger von Catalyst.

«Andere müssen ein Jahr warten»

Catalyst hat die Pressung für ihr Album «A normal Day» vor einem Dreivierteljahr in Auftrag gegeben, wartet aber noch auf die Platten. «Im Normalfall dauert das höchstens ein halbes Jahr», sagt Wehrle.

Für Catalyst ist die Verzögerung nicht weiter schlimm, die Platte wird trotzdem pünktlich zum Release Anfang Oktober bereit sein. «Von einem Musiker, den ich an einem Festival traf, habe ich aber gehört, sie hätten bereits mit einer Verzögerung von bis zu einem Jahr zu rechnen», sagt Wehrle.

Die Produktionsfirma von Catalyst, Adon Production AG, hat ihren Sitz im aargauischen Neuenhof. Dort ist man der Meinung, dass es nicht sein könne, dass Bands 30 bis 40 Wochen auf ihre Platten warten müssen.

Deshalb entschied man, wieder in die Vinylschallplatten-Produktion einzusteigen. «Der Rückstau bei den Presswerken ist massiv. Ab Herbst nehmen wir deshalb die erste Maschine in Betrieb, 2022 folgen weitere», sagt Andreas Krüsi, CEO und Mitinhaber der Produktionsfirma Adon.

So sei man unabhängig von grossen Presswerken und die Wartezeiten seien kürzer. «Derzeit warten Bands vier bis sechs Monate. Wenn wir hier produzieren, gehen wir von zwei bis drei Monaten aus», sagt Krüsi. Adon ist damit die einzige Firma in der Schweiz, die Vinylschallplatten produziert.

«Bislang keine Verzögerung angekündigt»

Nicht überall ist die Verzögerung spürbar. «Wir haben ein Unplugged-Album an einem Festival aufgenommen. Uns wurde gesagt, es dauert etwa drei Monate, das ist der normale Zeitrahmen», sagt Silvan Kuntz, Sänger von Panda Lux. Ob dies dann auch klappt, ist noch unklar.

Bei The Gardener and The Tree merkte man zwischenzeitlich, dass es Lieferverzögerungen gibt. «Anfang des Jahres teilte der Schweizer Online-Händler ‹cede.ch› mit, dass Plattenverkäufe erst im Juni wieder möglich seien», sagt Philippe Jüttner, Bassist der Band. Das Label bestätigt das: «Nicht nur Lieferungen verzögern sich, es beginnt schon bei der Produktion der Schallplatten. Weltweit gibt es Engpässe, deshalb verteilen Presswerke Kontingente. Das heisst, wir müssen genau planen, wie viele Platten von welcher Band wir produzieren lassen», sagt Kamil Kostka, Head of Artists and Repertoire bei Universal Music.

Die Vinyl-Auflagen seien zwar eher klein, aber man sei nun in der Situation, dass es doch eng wird. «Das liegt daran, dass viele Alben im Herbst erscheinen», sagt Kostka. Er sagt, die Pandemie habe wohl alles noch verstärkt, weil verschobene Alben nun produziert werden. «Künstlerinnen und Künstler ohne Label haben noch längere Wartezeiten von mindestens neun Monaten», sagt Kostka.

«Auch die grossen Labels pressen wieder»

Beim St.Galler Musikgeschäft «Klang und Kleid» merkt man von den Verzögerungen wenig. Das liegt daran, dass Labels und Bands allfällige Verzögerung im Release-Datum eingeplant haben. Reto Gerber, Geschäftsleiter vom «Klang und Kleid» sagt, der Vinylboom sei vor rund fünf Jahren losgegangen und da es nicht viel mehr Vinyl-Presswerke als zuvor gibt, sind diese ausgelastet.

«Hinzu kommt, dass nicht mehr nur Indie-Labels pressen, sondern dass die grossen Labels wieder vermehrt Platten von sehr bekannten Bands in hohen Stückzahlen produzieren lassen», so Gerber. Er vermutet, dass sich deshalb die kleinen Labels eher hinten anstellen müssen.

Bands, Labels, Kundinnen und Kunden können derzeit eigentlich nur eines tun: Sich gedulden, bis die lang ersehnte Platte sich auf dem Plattenspieler dreht und das knisternde Geräusch den Raum erfüllt.

veröffentlicht: 29. August 2021 07:12
aktualisiert: 30. August 2021 08:07
Quelle: FM1Today

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