Öffentlicher Verkehr

Spezialbillett für Blinde wird abgeschafft – werden sie bald vom ÖV ausgegrenzt?

19.01.2023, 13:45 Uhr
· Online seit 19.01.2023, 12:33 Uhr
Sehbehinderte und blinde Personen haben in ihrem Alltag einige Hürden zu meistern. Per Ende 2023 könnte es für Betroffene noch komplizierter werden, sich selbstständig im öffentlichen Verkehr zu bewegen. Die «Ausweiskarte für Blinde und Sehbehinderte» wird gestrichen.
Anzeige

50 Jahre lang konnten blinde oder sehbeeinträchtige Menschen im öffentlichen Nahverkehr grösserer Schweizer Städte gratis fahren sowie eine Begleitperson oder einen Blindenführhund mitnehmen. Die «Ausweiskarte für Blinde und Sehbehinderte» ermöglichte bisher eine barrierefreie und autonome Fortbewegung Betroffener. Damit soll per Ende 2023 Schluss sein.

Veraltetes Angebot

Heute gebe es für Reisende mit einer Sehbehinderung genügend Alternativen, findet die Alliance SwissPass, eine Branchenorganisation des öffentlichen Verkehrs. Dank Sprachunterstützungen in Webshops und Apps, dem automatischen Ticketing oder der Möglichkeit, telefonisch Tickets zu bestellen, gebe es mittlerweile auch für diese Personengruppe Möglichkeiten, um ein ÖV-Billet zu lösen.

Doch gerade am Beispiel bei den St.Galler Verkehrsbetrieben erfährt man die Einschränkungen: «Bei diesen Bussen haben Blinde bei den Billettautomaten keinen Zugang zu einer Telefonnummer. Für eine barrierefreie Nutzung müssten diese an jedem Automaten taktil vorhanden sein», sagt Jan Rhyner, Interessensvertreter vom Schweizerischen Zentralverein für das Blindenwesen (SZBLIND).

Ins Leben gerufen wurde das Spezialangebot des Blinden-Ausweises damals wegen der fehlenden Barrierefreiheit bei Billettautomaten. Heute sei dieses Angebot überflüssig geworden, findet Alliance SwissPass. Zudem sei der Anwendungsbereich der Karte verwirrend und je nach Region stark eingeschränkt. Auch die Gleichstellung der Behinderten sei nicht mehr gewährleistet, da die Karte nur von blinden und sehbehinderten Personen gekauft werden kann, schreibt die Alliance in einer Medienmitteilung.

50 Prozent der Nutzenden in St.Gallen sind über 70 Jahre alt

Für 5500 Blinde und Sehbehinderte bedeutet der Wegfall der Karte, dass sie im kommenden Jahr auf andere Art und Weise an ein gültiges Ticket gelangen müssen. Damit gehe SwissPass ein Risiko ein: «Man schliesst eine, wenn auch kleine, Bevölkerungsgruppe vom öffentlichen Verkehr aus. Für diese Leute gibt es dann keine Lösung, wie sie alleine Bus fahren können», sagt Jan Rhyner. «Alleine die Stadt St.Gallen hat rund 200 aktive solcher Karten. Davon sind 50 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer über 70 Jahre alt.»

SwissPass war zwar im Austausch mit diesen Organisationen. Der SZBLIND forderte Lösungen, um den Älteren oder technischen Laien trotzdem ein nutzerfreundliches Angebot gewährleisten zu können. Konkrete Massnahmen, um einen solchen Ausschluss zu verhindern, hätten jedoch keinen Anklang bei SwissPass gefunden, schreibt der SZBLIND. «Wir können die Überlegungen grundsätzlich nachvollziehen. Die fehlende Bereitschaft zur Inklusion ist aber ernüchternd», so Rhyner. Menschen mit Sehbehinderung seien in ihrer Mobilität alternativlos auf den ÖV angewiesen.

«Wir bedauern diesen Entscheid»

Rhyner betont, dass die Gespräche mit SwissPass auf Augenhöhe waren und sie einen gemeinsamen Weg gegangen seien. Nur habe die Alliance am Ende einen anderen Entscheid als erhofft gefällt. «Wir bedauern diesen Entscheid und werden weiterhin nach Lösungen für Leute suchen, welche die bestehenden Möglichkeiten nicht nutzen können», sagt Rhyner. Er setze zudem auf die Parlamentarierinnen und Parlamentarier und hoffe, dass sie sich für diese Gruppe einsetzen werden.

Nur kleine Veränderungen sind durch SwissPass bei dem Begleitabo geplant. Mit diesem Abo reist eine Person – entweder jene mit der Behinderung oder die Begleitperson – in der Schweiz kostenlos auf allen Strecken – auch im 2024. Nur wird das Abo im kommenden Jahr nicht mehr wie bisher in physischer, sondern nur noch in digitaler Form über den SwissPass erhältlich sein.

veröffentlicht: 19. Januar 2023 12:33
aktualisiert: 19. Januar 2023 13:45
Quelle: FM1Today

Anzeige
Anzeige