Aus für «St.Georgen hilft Albanien»

27.12.2017, 18:56 Uhr
· Online seit 20.12.2017, 13:41 Uhr
In 25 Jahren hat das Hilfswerk «St.Georgen hilft Albanien» über 100 Lastwagen mit Hilfsgütern nach Albanien geschickt und mehrere Schulhäuser gebaut. Nun hört es auf – mit einem letzten Spendenaufruf.
Laurien Gschwend
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Christina Weder/St.Galler Tagblatt

Angefangen hatte alles mit einem Familienurlaub. Die St.Geörglerin Ruth Widmer reiste 1991 mit ihrer Familie nach Nordgriechenland, an die Grenze zu Albanien. In Albanien war im Jahr zuvor das kommunistische Regime gestürzt worden. Die Grenzen wurden geöffnet, was einen Massenexodus auslöste. Ruth Widmer sah in Nordgriechenland die albanischen Flüchtlinge, wie sie durch die Wälder streiften, barfuss, in Lumpen gehüllt. «Es war eine unsägliche Armut», erinnert sie sich.

Die Bilder liessen sie nicht mehr los. Zurück in St.Gallen beschloss die Familie, aktiv zu werden. Sie gründete 1992 das Hilfswerk «St.Georgen hilft Albanien». Der Quartierverein St.Georgen, die evangelische und die katholische Kirchgemeinde übernahmen das Patronat. Seither sind insgesamt über 3,5 Millionen Franken an Spendengeldern gesammelt worden.

Brennpunkte haben sich verschoben

Nun, 25 Jahre später, verabschiedet sich das Hilfswerk. Es ruft ein letztes Mal zum Spenden auf. Mehrere Gründe hätten sie bewogen, nicht mehr weiterzumachen, sagt Initiantin Ruth Widmer. Zum einen wolle sie altersbedingt kürzertreten. Das ehrenamtliche Engagement sei aufwendig gewesen. Zum anderen falle der langjährige Partner vor Ort krankheitshalber aus. Zu guter Letzt hätten sich die Brennpunkte der Welt verschoben. Albanien, das lange als «das Armenhaus Europas» galt, ist für die DEZA, die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes, kein Schwerpunktland mehr. Damit sei es schwieriger geworden, Beiträge von grossen Institutionen zu erhalten.

Zusammen mit Urs Hertler, der ebenfalls in St.Georgen wohnt und die Finanzen des Hilfswerks betreut, blickt Ruth Widmer zurück. In den ersten Jahren sei es eine Art Detektivarbeit gewesen. Niemand habe gewusst, wie man nach Albanien komme, denn das Land war jahrelang hermetisch abgeriegelt gewesen. «Man konnte nicht einfach ins Reisebüro gehen und eine Reise buchen.»

1993 machte sich erstmals eine sechsköpfige Delegation von St.Geörglern mit drei Lastwagen voller Hilfsgüter – Kleider, Esswaren und Mobiliar – auf den Weg nach Albanien. Sie wurde sicherheitshalber von zwei Polizisten begleitet. Eine Reise ins Ungewisse sei es gewesen, sagt Finanzchef Urs Hertler. «Albanien war ein weisser Fleck auf der Landkarte, wir hatten keine Ahnung, was uns erwartet.» Die Gruppe fand ein Land vor, das «auf dem Stand vor dem Zeitalter des Kugelschreibers» stehen geblieben war, wie Ruth Widmer sagt. Ein festes Telefonnetz fehlte. Pro Dorf habe es einen einzigen Telefonapparat gegeben.

Von Anfang an konzentrierte sich das Hilfswerk auf Nordalbanien. Mit den Spendengeldern wurden weit über 100 Lastwagen in die Region geschickt. Sie brachten Kleider, 500 Stühle aus dem alten Hotel Ekkehard, 20 Tonnen ausgemusterte Spitalwäsche aus dem Kantonsspital, 500 Brillen aus einem St.Galler Optikergeschäft, Schulmöbel der Stadt, Musikinstrumente und vieles mehr. So waren auch diverse Apparate aus der St.Galler Schulzahnklinik jahrelang in einer nordalbanischen Stadt in Gebrauch.

Mit vielen Projekten Kinder unterstützt

Später konzentrierte sich das Hilfswerk verstärkt auf langfristige Projekte. Die meisten kamen Kindern zu Gute. Mit den Spendengeldern wurden Gemeindezentren, Kinderkrippen und Kindergärten renoviert, Ambulatorien und mehrere Schulhäuser gebaut. Alljährlich berichteten die Verantwortlichen in einem Flyer, für welche Projekte sie die Spendengelder einsetzten. «Transparenz war uns immer sehr wichtig», sagt Ruth Widmer. Sie reiste zweimal im Jahr nach Albanien. Insgesamt besuchte sie das Land über 50 Mal. Das Hilfswerk habe viele spannende Begegnungen ermöglicht.

Beeindruckt von der Spendenbereitschaft

Persönlich lag ihr die Unterstützung von Kunst- und Musikhochschulen sehr am Herzen. Da habe sie prekäre Verhältnisse angetroffen: Musikakademien, in denen es pro Klasse ein einziges Musikinstrument gab. Oder Kunsthochschulen, in denen aufgrund von Papiermangel alte Bücher bemalt wurden. Das habe sie sehr berührt.

Die Situation in Albanien hat sich laut Ruth Widmer in den letzten Jahren «ungeheuer» entwickelt, auch wenn es in ländlichen Gebieten immer noch grosse Armut gebe. Beeindruckt ist Initiantin des Hilfswerks von der Spendenbereitschaft und der Unterstützung, die sie in den 25 Jahren erfahren hat. Zahlreiche Freiwillige aus dem Quartier hätten jeweils mitgeholfen, die Lastwagen zu füllen. Mit dem letzten Spendenaufruf sammelt das Hilfswerk nun Geld, um die bisher realisierten Bauten instand zu halten. Im Februar wird Ruth Widmer dann ein weiteres Mal nach Albanien reisen. «Bestimmt nicht das letzte Mal.»

Dieser Artikel erschien am 20. Dezember zuerst auf «Tagblatt Online».

TVO-Beitrag: Nach 25 Jahren: Albanien-Hilfwerk St.Georgen hört auf
veröffentlicht: 20. Dezember 2017 13:41
aktualisiert: 27. Dezember 2017 18:56

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