Hundsverlochete

Autokleber – ein Überbleibsel aus der Zeit davor

14.03.2021, 07:16 Uhr
· Online seit 13.03.2021, 16:45 Uhr
In roten, leuchtenden Buchstaben steht auf der Heckscheibe des schwarzen Fiats: «Ufla» – der auffällige Autokleber lässt einen sofort zweifeln, ob das Lager auch tatsächlich stattfinden wird. Die Autokleber-Werbung ist ein Überbleibsel aus einer Zeit, die wir dringend zurück brauchen.
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Es ist schon traurig – wir reden mittlerweile von der Zeit davor. Vor Corona. Die Zeit, in der alles besser war, als würden Jahrzehnte dazwischen liegen. In der Tat ist es mittlerweile ein Jahr her, seit Corona jegliche kollektive Heiterkeit aus den Veranstaltungskalendern von Mehrzweckhallen und Turnhallenaulen verbannte.

In den riesengrossen Festzelten fand zwar reger Speichelaustausch statt – es war aber nicht die Zunge, sondern ein Abstrichstäbchen, das in so manchem Rachen noderte. Testzentren lösten Grubenfest, Grümpi und Guggennight ab und Nummern austauschen wurde zum Contact Tracing.

Etwas, das geblieben ist und uns an die Zeit davor erinnert, sind Autokleber. Bunte, leuchtende Schriftzüge zu Veranstaltungen, die reihum abgesagt wurden. Dabei hätten wir solche Veranstaltungen bitter nötig.

Die Sau rauslassen

Es ist nicht das kollektive Betrinken, das besonders fehlt – das kann auch via Zoom oder zu fünft am Stubentisch abgehalten werden. Es ist mehr unser tanzendes, zwischen Bekannten hin und her schwebendes Ich – das voller Freude die besten Freunde nickend und wippend anstupst, um sie auf den tollen Song, der gerade läuft, aufmerksam zu machen. Es ist das Vortrinken, das erst durch den Stress des anschliessenden Aufbrechens in den Club oder ans Fest so richtig interessant und zum besten Part des Abends wird.

Fehlender Gesprächsstoff

Mit guten Freunden gehen die Gesprächsthemen natürlich nie aus – vermehrt geht es in Mädels- oder Jungsrunden aber nicht mehr darum, was am Wochenende Peinliches passierte, sondern welche neue Küchenmaschine gekauft oder welches spezielle Gericht ausprobiert wurde. Ich wünsche mir wieder Gespräche über witzige Taxifahrten, komische Flirtbekanntschaften, Mitternachts-Spaghetti und Rekonstruktionen der Heimwege.

Kollektives Katerleiden

Das Fluchen über Alkohol und Beschwören dessen Abstinenz für die kommenden Jahre bleiben auch bei Partys zu Hause. Was fehlt, ist das kollektive Katerleiden. Kopfschmerzen und Übelkeit in Gesellschaft, beispielsweise im Campingstuhl am Openair, fühlen sich einfach besser an als einsames Leiden in einer 2,5-Zimmer-Wohnung auf dem durchwetzten Sofa neben einer offenen Schmerzmedi-Packung.

Die Freude der Planung

«Wer nimmt einen Pavillon mit?», «Wer kümmert sich um das Bier?», «Was ziehen wir an?», «Welche Party besuchen wir als erstes?» – Es ist nicht nur die Hundsverlochete selbst, die uns im täglichen Trott des Lebens Freude bereitet, sondern auch die ganze Planung dazu. Die Vorfreude, die Planbarkeit, die Garantie auf ein Wochenende voller Action, ein Wochenende mit Programm und viel zu vielen Möglichkeiten. Ich möchte wieder planen, wieder feiern und Nächte lang durchtanzen.

Es sind die Autokleber, die an früher erinnern und denen ich jedes Mal wehmütige nachblicke, wenn sie durchs Toggenburg kurven – ein Überbleibsel einer Zeit, die wir dringend zurück brauchen.

veröffentlicht: 13. März 2021 16:45
aktualisiert: 14. März 2021 07:16
Quelle: FM1Today

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