Bruno Damann: «Es wird Leute geben, die auf die Barrikaden gehen»
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen sind in St.Gallen schon seit Wochen hoch. Kommen die neuen Massnahmen des Kantons nicht zu spät?
Bruno Damann: Ich bin nicht dafür, dass man immer nur auf die Fallzahlen schaut. Es
ist viel wichtiger, dass man die Hospitalisationen anschaut. Bei diesen hatten wir eine
abfallende, bei den Intensivpatienten zumindest eine stabile Lage. Erst letzte
Woche ist die Fallzahl wieder gestiegen. Für mich ist es nicht matchentscheidend,
ob wir die Fallzahlen alle zwei Wochen halbieren können. Mir ist es wichtiger,
dass die Zahlen langsamer sinken, dafür aber kein JoJo-Effekt eintritt.
Wir beurteilen Sie die vorgeschlagenen Massnahmen des Bundesrats?
Wir können die Entscheide des Bundesrats nachvollziehen. Jetzt hat man
Angst vor einer dritten Welle. Wir können aber nicht nachvollziehen, dass der
Bundesrat nun nicht von der besonderen in die ausserordentliche Lage wechselt.
So wie es jetzt ist, ist es ein drein funken: die Kantone entscheiden etwas und
der Bund entscheidet dann wieder etwas anderes. So weiss die Bevölkerung am
Ende nicht mehr was gilt.
Fühlen Sie sich vom Bundesrat im Stich gelassen?
Wir fühlen uns nicht unbedingt im Stich gelassen. Wir haben den
Austausch mit dem Bundesrat. Wir können aber nicht begreifen, dass er den Mut
nicht hat, die ausserordentliche Lage auszurufen.
St.Gallen stand lange als «Trödler-Kanton» in der Kritik. Wie haben Sie diese aufgenommen?
Es gab positive und negative Meldungen. Uns wurde zugute geheissen, dass
wir nicht so reingeschossen sind wie andere Kantone. Wir haben Kantone,
welche mehr Massnahmen ergriffen haben, gut beobachtet, wie beispielsweise Bern.
Dort steigen die Zahlen aber genau gleich. Häufig weiss man nicht, wieso es zu
Ansteckungen kommt. Wir haben das Virus einfach noch nicht verstanden.
Der Kanton Graubünden hat auf die Kritik reagiert und am letzten Freitag scharfe Massnahmen verhängt. Wie beurteilen Sie dieses Vorgehen?
Ich gehe davon aus, dass sie diese drastischen Massnahmen ergriffen
haben, um die Skisaison zu retten. Ob das gelingen wird, werden wir sehen. Ich
sehe es aber als gefährlichen Entscheid. Personen, welche auf Intensivstationen
beatmet werden müssen, liegen circa 17 Tage im Spital. Diese würden also kurz
nach Weihnachten aus dem Spital entlassen. Dann kommen aber schon die Unfälle
von den Skipisten. Dann wird es für die Spitäler kritisch.
Gerade über Weihnachten rechnen der Bund aber auch der Kanton mit einem Anstieg der Neuinfektionen. Trotzdem schlägt der Bundesrat über diese Tage eine Lockerung der Versammlungsbeschränkung vor. Ist das nicht kontraproduktiv?
Weihnachten ist so eine wichtige Zeit für die Bevölkerung. Es ist sehr
schwierig, wenn sich nur fünf Personen treffen dürfen und nur im kleinsten
Rahmen gefeiert werden kann. Das war also sicher ein Kompromiss seitens des
Bundesrats.
Besteht die Angst, dass die Leute auf die Barrikaden gehen?
Es wird sicher Leute geben, die auf die Barrikaden gehen. Davon bin
ich überzeugt. Die privaten Haushalte kann man aber viel schlechter kontrollieren.
Das weiss auch der Bundesrat und er weiss auch, dass sich viele nicht an
strengere Massnahmen über Weihnachten halten würden.
Mit welcher Situation wollen Sie in das neue Jahr starten?
Ich hoffe, dass die Fallzahlen sinken, die Hospitalisationen zurückgehen und weniger Leute auf den Intensivstationen sind. Aber wir werden noch lange mit dem
Virus leben müssen.