Basejumper

«Der schönste Moment meines Lebens»

10.09.2020, 16:28 Uhr
· Online seit 03.09.2018, 05:48 Uhr
Aus allen Herren Länder kommen sie angereist, fahren mit der Gondel auf den Chäserrugg und stürzen sich von den Churfirsten Richtung Walensee in die Tiefe. Walenstadt ist eine Hochburg für Wingsuit-Piloten. Ein Besuch vor Ort.
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Wer von euch hat schon einmal davon geträumt, auf einem Gebäude oder einem Felsen zu stehen und dann einfach abheben zu können? Die Arme auszubreiten, loszuspringen und über die Köpfe der Menschen hinweg zu gleiten? Während dies für viele ein Kindertraum bleibt, tun Basejumper mit ihren Wingsuits genau das. Sie stürzen sich senkrecht von Felsen, breiten ihre Arme aus und gleiten wie auf einer unsichtbaren Seifenrutschbahn dem Himmel entlang, bis sie an einer Schnur ziehen, denn Fallschirm öffnen und langsam zu Boden schweben.

Basejumper müssen sich an Regeln halten

«Ich bin fasziniert von dem, was die machen», sagt Angelo Umberg. Er ist Gemeindepräsident von Walenstadt und zeigt mit dem Finger auf einen Punkt am Hinterrugg, einer der sieben Churfirsten, die von Walenstadt aus wie eine Schutzmauer in den Himmel ragen. «Sehen Sie den höchsten Punkt am Hinterrugg, dort wo das Gipfelkreuz ist?» Ich nicke. «Jetzt schauen Sie ein bisschen nach links, dort sehen sie eine Art Sprungschanze. Eine kleine Plattform.» Tatsächlich kann ich am Felsen einen längeren flachen Teil erkennen, der wie eine Art Schanze ausschaut: «Das ist der Sputnik.» Der wohl berühmteste aller Sprünge in der Schweiz.

Angelo Umberg ist der Absprungort nur zu gut bekannt: «Von dort aus, wo ich wohne, sehe ich die Basejumper aus der Schlucht kommen und in den Himmel schiessen.» Der Sputnik ist beliebt unter den Wingsuit-Piloten, weil sie dort durch eine Schlucht, das Schattenloch, fliegen. «Ich habe kein schlechtes Bild von Basejumpern, solange sie sich an die Regeln halten.» Es gibt eigentlich nur eine Regel in Walenstadt: «Wir konnten uns mit der Swiss Base Association darauf einigen, dass die Wingsuit-Piloten niemals über das Städtchen fliegen, sondern oberhalb von Walenstadt auf einem Landeplatz landen und daran halten sich die Springer», sagt der Gemeindepräsident.

In flagranti erwischt

Oder doch nicht? Während mir Angelo Umberg das erzählt, schiesst ein Wingsuit-Pilot durch die Luft über uns hinweg. Wir stehen im Städtchen. «Darf der das?», frage ich und Umberg schüttelt den Kopf. Kurze Zeit später stehen wir vor dem Piloten, denn der Gemeindepräsident will mit dem Wingsuit-Piloten «schimpfä». Doch dieser weist Angelo Umberg darauf hin, dass es auf dem Sputnik eine Tafel habe, die diesen Landeplatz angebe. Die beiden tauschen ihre Visitenkarten aus.

«Es ist interessant, dass wir einen Springer in flagranti erwischt haben», sagt Angelo Umberg. Der Basejumper habe sich sehr kooperativ gezeigt, deshalb habe sein Flug auch keine Konsequenzen: «Wir werden die Tafel gemeinsam mit der Swiss Base Association anschauen und gegebenfalls entfernen.» Denn sobald ein Basejumper Walenstadt überfliegt, klingelt beim Gemeindepräsidenten das Telefon: «Das sehen die Einwohner nicht gerne. Denn dann sind sie direkt gefährdet, sollte der Springer abstürzen oder sogar in eine Person hinein fliegen.»

«Es ist wie ein Traum»

Ansonsten sind Basejumper in Walenstadt gern gesehene Gäste: «Diese Leute sind hell begeistert, von dem, was sie tun. Sie jauchzen und jubeln beim Fliegen, denen gefällt es hier und sie schätzen die Schönheiten der Region. Das wirft natürlich auch ein positives Bild auf Walenstadt», sagt Angelo Umberg.

Und tatsächlich hört man die Basejumper schreien. Kaum haben wir den Landeplatz oberhalb von Walenstadt erreicht, schiesst der erste Springer mit seinem Wingsuit aus dem Schattenloch. «Schauen Sie!», ruft der Gemeindepräsident. Zuerst ist nur ein kleiner weisser Punkt zu sehen, plötzlich rast dieser Punkt mit einer unglaublichen Geschwindigkeit vom Felsen in Richtung Himmel, fliegt dort eine Weile gerade aus und landet dann mit dem Gleitschirm auf der Wiese.

Der Flug über Walenstadt aus Sicht des Piloten:

«Wuuhuuuu», schreit der Pilot, der sich als Mike aus Kalifornien vorstellt und den Flug so beschreibt: «Das war der schönste Moment in meinem Leben. Ich habe zehn Jahre für diesen Flug trainiert, Videos im Internet gesehen, meinen Freunden zugeschaut und jetzt endlich konnte ich selbst durch die Schlucht fliegen. Es fühlt sich unecht an. Es ist wie ein Traum!» Während Mike spricht, glänzen seine Augen und auf meinem Unterarm bildet sich eine Gänsehaut. Ich frage ihn, wie es sich anfühlt, ins Nichts zu springen: «Ich war überraschend ruhig. Natürlich raste mein Herz, aber ich fühlte mich bereit.»

Langer, spektakulärer Flug

Für Mike ist der Moment, kurz bevor er springt, der schönste: «Dein Kopf ist plötzlich leer, du hast keine Angst mehr, dann machst du einen Schritt und los geht es.» Der Start sei das  schwierigste. Die Geschwindigkeit, die Position, alles müsse stimmen, sonst kann der Flug sehr gefährlich werden. Die Absprungstelle vom Hinterrugg findet er nicht schwieriger als andere Stellen, sie sei jedoch technisch anspruchsvoll. Dafür werde man mit einem unglaublich langen und spektakulären Flug belohnt: «So etwas habe ich noch nie erlebt. Es ist wunderschön hier und ich fühle mich wie Peter Pan im Wunderland.»

Sechs Startplätze entlang der Churfirsten

Mike und seine Freunde sind vom Sputnik gesprungen. An alle andere Absprungstellen wagen sie sich noch nicht: «Wir fliegen hier das erste Mal, wir wollen es bei dem belassen, was wir können.» Entlang des Chäserruggs und Hinterruggs gibt es insgesamt rund sechs Stellen, von denen die Piloten abspringen. «Ich wusste vom Sputnik und vom Fatal Attraction», sagt Angelo Umberg. Beim Fatal Attraction stürzten erst kürzlich zwei Piloten in den Tod. Vom Punkt unterhalb des Chäserruggs wird erst seit rund zwei Jahren gesprungen.

Alle anderen Orte kennt Umberg nicht, sie sind ihm ein Dorn im Auge: «Mir wäre es am liebsten, sie würden nur vom Sputnik springen. Es gibt je länger je mehr Startplätze, deshalb werde ich gemeinsam mit dem Gemeinderat und anderen Gemeinden schauen, ob man da irgendwie korrigierend einwirken kann.» Denn mit der Zahl der Startplätze steige auch die Zahl der Basejumper: «Es ist verrückt. Jedes Mal, wenn ich von der Arbeit nach Hause laufe, begegne ich ein paar Leuten mit ihren grossen Rucksäcken, die Sprünge hinter sich haben. Ich kenne keine Zahlen, aber wenn ich diese Zahl hochrechne, ist die Zahl der Basejumper schon beachtlich.»

«Die wissen, was sie tun»

Von einem Flugverbot werde wenn immer möglich abgesehen: «Ich bin grundsätzlich ein Gegner von Verboten und appelliere an die Eigenverantwortung jedes Menschen.» Jeder Mensch müsse sich täglich die Frage stellen, ob er gewisse Aufgaben meistern könne oder nicht. Dies sei auch beim Bergsteigen oder Schwimmen der Fall. «Die Basejumper wissen was sie tun. Die wollen leben und die kommen nicht hierher um zu sterben, sondern um ihr Hobby und ein ganz spezielles Lebensgefühl zu geniessen.» Angelo Umberg selbst würde niemals vom Hinterrugg springen: «Ich habe einen Tandem-Flug gemacht, das ist das höchste der Gefühle.»

veröffentlicht: 3. September 2018 05:48
aktualisiert: 10. September 2020 16:28
Quelle: abl

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