Goldach

Drittklässler geht auf Lehrerin los

· Online seit 22.03.2022, 13:32 Uhr
Die Kantonspolizei St.Gallen wurde kürzlich in ein Schulhaus nach Goldach gerufen, weil ein Schüler eine Lehrerin angegriffen hat. Die Lehrerin wollte zwischen zwei streitenden Schülern schlichten und hat dabei selbst Schläge abbekommen. Auf eine Anzeige wurde verzichtet, jedoch wurde die Kesb informiert.
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Die Zahl verbaler und körperlicher Übergriffe auf Lehrpersonen nimmt zu. Trotzdem bleibt Gewalt an Lehrpersonen ein Tabuthema, da diese es oft nicht melden. Viele Fälle kommen gar nie bis zur Schulleitung und schon gar nicht an die Öffentlichkeit. In Goldach war dies am Freitag vor eineinhalb Wochen nicht der Fall, wie das «St.Galler Tagblatt» schreibt. Im Gegenteil, die Situation zwischen Schülern und Lehrerin einer 3. Klasse eskalierte derart, dass sogar die Kantonspolizei St.Gallen hinzugerufen wurde.

Polizeisprecher Florian Schneider sagt: «Ich kann den Vorfall insofern bestätigen, als dass die Kantonspolizei Kenntnis davon erhalten hat und an einem gemeinsamen Gespräch mit der Schule und dem Schüler teilgenommen hat.» Auf die Erstattung einer Anzeige wurde laut Florian Schneider seitens der Geschädigten verzichtet. Die Kantonspolizei St.Gallen habe jedoch einen Bericht an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde gemacht.

Aus gut unterrichteten Kreisen der Schule ist zu hören, dass es vor einigen Wochen zu einem ähnlichen Vorfall gekommen ist. Eine junge Lehrerin habe auf Ende des vergangenen Semesters ihre Stelle gekündigt, weil in ihrer dritten Klasse gleich drei sehr schwierige Schüler gewesen seien. Auch sie sei mehr als einmal mit Fäusten angegangen worden. Eine weitere Kündigung einer jungen Lehrerin sei erfolgt, weil sich diese nicht unterstützt gefühlt habe. Eine weitere Kündigung betreffe eine erfahrene Kindergärtnerin mit der Begründung: «Ich mag hier nicht mehr arbeiten.»

In der Regel wird keine Anzeige erstattet

Der Polizeisprecher kann den früheren Vorfall nicht bestätigen, da es zu keiner Anzeige kam und der Fall nicht protokolliert wurde. «Allgemein kann ich sagen, dass die Schule ein Umfeld ist, in dem es durchaus zu Konflikten kommt. In aller Regel sind die Auswirkungen solcher Konflikte aber nicht gross oder brauchen gar das Einschreiten der Polizei, sprich nicht immer wird eine Anzeige erstattet», so Florian Schneider. Oftmals würde mit Kindern und Jugendlichen das Gespräch gesucht und so eine Besserung der Situation erreicht. «Gemäss meiner Einschätzung und der Durchsicht des Einsatzjournals haben wir keine Zunahme von entsprechenden Fällen.»

Goldachs Schulpräsident Rolf Deubelbeiss gibt sich bezüglich des aktuellen Vorfalls im Sinne des Persönlichkeitsschutzes der Beteiligten zurückhaltend und äussert sich nicht zu Details. Er räumt aber ein: «Weil die Situation eskalierte, wurde die Kantonspolizei hinzugerufen, und das war auch richtig so.» Als der Vorfall passierte, sei die Schulleitung in einem Bewerbungsgespräch gewesen und habe deshalb nicht hinzugezogen werden können. Hat die Schule Goldach also ein Gewaltproblem? «Das Problem kann nicht auf Goldach fokussiert werden. Es ist ein Phänomen, das sich ausbreitet und vermehrt auch tiefere Klassen erreicht», sagt dazu Rolf Deubelbeiss. Leider sei es ein gesellschaftliches Problem. So etwas passiere immer mal wieder, aber meistens nicht in Form einer Tätlichkeit, sondern verbal.

Lehrkräfte erhalten bei schwierigen Klassen Unterstützung

Die erwähnten Kündigungen bestätigt der Schulpräsident, auf die Gründe geht er nicht näher ein. «Was genau hinter diesen Kündigungen steht, ist schwierig zu sagen. Eine Klassenkonstellation mit schwierigen Schülern kann natürlich ein Grund dafür sein. Die Fluktuation war bei uns in den vergangenen Jahren aber auch in der Unterstufe nicht hoch, sondern unterdurchschnittlich.»

Lehrkräfte würden nicht allein gelassen, betont Deubelbeiss. «Wir statten schwierige Klassen mit den nötigen Ressourcen aus.» Auch in der besagten Klasse kämen daher schulische Heilpädagogik, Schulsozialarbeit, Klassenassistenz und zusätzliches Teamteaching zum Einsatz, wobei die Schulsozialarbeit in Goldach erst kürzlich auf zwei Personen erhöht worden sei, um adäquat reagieren zu können. Bei Bedarf und im vorliegenden Fall wurde auch die Fachstelle des Kantons, der Schulpsychologische Dienst, hinzugezogen.

Solche Vorfälle würden deutlich aufzeigen, in was für einem schwierigen Umfeld sich die Schule mittlerweile bewege. «Heute muss sich jede Lehrkraft bewusst sein, egal, wo sie unterrichtet, dass sie auf schwierige Klassenkonstellationen treffen kann», so Deubelbeiss. Bereits im Kindergarten gebe es Kinder mit «besonderen Bedürfnissen». Der Schulratspräsident sagt:

Er betont aber auch: «Wir tolerieren keine Gewalt in der Schule Goldach, wir reagieren immer auf solche Vorfälle. Schwierige Schüler werden vom Schulpsychologischen Dienst abgeklärt und wir handeln dann entsprechend von dessen Empfehlung.» Eltern können nach Meinung des Schulpräsidenten viel zur Verbesserung der Situation beitragen, indem sie vorleben, dass Gewalt keine Lösung ist und keinen Platz hat in unserer Gesellschaft. «Es ist eine zentrale Erziehungsfunktion von Eltern, Kinder dazu zu bringen, nicht gewalttätig zu sein.»

Gewalt gegen Lehrpersonen wird statistisch nicht erfasst

Die Eltern wurden laut Rolf Deubelbeiss nicht über den Vorfall in der Klasse informiert, da dieser ausserhalb der Klasse und zwischen Einzelpersonen geschah. Der Vorfall sei aber selbstverständlich mit der Klasse aufgearbeitet worden. Ein Ziel der Volksschule sei es, auch schwierige Schüler zu integrieren und auf den richtigen Weg zu bringen.

Laut dem Bundesamt für Statistik gibt es in der Schweiz keine Erhebungen betreffend Gewalt gegen Lehrpersonen. Laut der repräsentativen Umfrage «Gewalt gegen Lehrkräfte», die das unabhängige Forschungsinstitut forsa unter 2000 Lehrpersonen in Deutschland durchgeführt hat, wurde fast ein Viertel der Befragten schon Opfer von Bedrohungen, Beleidigungen, Beschimpfungen oder Mobbing. Körperliche Angriffe wie beispielsweise schlagen, schütteln, stossen, treten, boxen, an den Haaren ziehen, mit den Fäusten oder mit Gegenständen prügeln ist weit verbreitet.

Für Franziska Peterhans, Zentralsekretärin vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), ist die Situation in der Schweiz mit Deutschland vergleichbar. Auch die Ursachen seien die gleichen: «Der Ton und die Sprache in Gesellschaft und Politik sind rauer geworden. Konflikte eskalieren öfter und schneller und werden mit härteren Mitteln ausgetragen. Autoritäten wie Pfarrer, Ärzte und auch Lehrpersonen sind deutlich weniger anerkannt», skizziert Peterhans die Entwicklung in einer Ausgabe von «Bildung Schweiz». Um betroffene Lehrpersonen zu unterstützen, hat der Schulverlag plus mit Unterstützung des LCH einen Krisenkompass lanciert, der auf www.edyoucare.net online verfügbar ist.

veröffentlicht: 22. März 2022 13:32
aktualisiert: 22. März 2022 13:32
Quelle: Tagblatt/Rudolf Hirtl

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