Altenrhein

Einmal Looping, bitte: So war mein erster (und einziger) Kunstflug

23.10.2021, 12:54 Uhr
· Online seit 23.10.2021, 07:33 Uhr
Looping, Fassrolle und eine kleine «Kiste» mit Propeller: Die St.Galler Pilotin Ursula Müller, die auch erfolgreiche Kunstfliegerin ist, hat FM1Today-Redaktorin Krisztina Scherrer auf einen Kunstflug mitgenommen. Und so wars.

Quelle: Krisztina Scherrer/FM1Today

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Beine auseinander, Hände weg von der Reissleine, Säckli in die Hand nehmen, bevor du dich übergibst und immer schön atmen. Mehr braucht es nicht.

Gut, ich lasse mich darauf ein. Ich bin kein Freund von Loopings und all dem ganzen Zeug, welches man auf Achterbahnen erlebt. Ehrlich gesagt, war ich seit mehr als 10 Jahren auf keiner Achterbahn mehr. Dementsprechend habe ich mir nie ausgemalt, wie es wohl sein wird, wenn ich einmal Loopings und Rollen mache. Besonders nicht in einem Kunstflugzeug. Aber ich habe es getan und mich nicht einmal übergeben.

Ursula Müller heisst die Pilotin, die mir an diesem Mittwochmorgen Mitte Oktober die Welt des Kunstfliegens näherbringt. Die 30-jährige St.Gallerin hat vor vier Jahren den Pilotenschein gemacht. Das Fliegen wurde ihr sozusagen in die Wiege gelegt. Der Vater fliegt, die Mutter fliegt – und sie war von klein auf fasziniert. «Mein Vater ist unter anderem auch Fluglehrer und so bin ich dann zur Fliegerei gekommen.»

Quelle: Krisztina Scherrer/FM1Today

Wenn du einmal sitzt, sitzt du

Bevor wir abheben, erklärt mir Müller genau, was wir tun. Im Flieger sitzen wir hintereinander – die Pilotin vorne, die Passagierin hinten. Bevor wir einsteigen, muss ich einen Fallschirm anziehen. «Ja nicht an der Reissleine ziehen, sonst springt er auf», sagt die 30-Jährige. Ich verstehe. Nach umständlichem Einsteigen sitze ich also in diesem Flugzeug. Die Gurte werden fest angezogen. Kein Entkommen mehr. Headset auf. Wegen des Steuerknüppels muss ich meine Beine auseinanderspreizen. Im Sitz vor mir hat es Säckli, falls ich mich übergeben muss. Gut, ich weiss jetzt, was zu tun ist.

Zuerst war Müller mit der Privatpilotenlizenz unterwegs. Heisst, sie steuert Kleinmotoren-Flugzeuge. Seit zwei Jahren macht sie auch Kunstflug und nimmt an Wettbewerben teil. «Als ich das erste Mal in einen Kunstflieger stieg, war ich etwa 14 Jahre alt», sagt die St.Gallerin. «Es fühlte sich an wie in der Achterbahn, ich habe einige Kissen gebraucht, dass ich überhaupt raussah.» Für Müller war klar: Kunstfliegen, das will ich auch.

Beim «ersten Mal» selber Kunstfliegen sei sie «mega» nervös gewesen. «Ich hatte schon ein mulmiges Gefühl, als ich die Figuren machte.» Doch man müsse sich einfach daran gewöhnen. Immer und immer wieder üben, jede Figur zehn, zwanzig oder sogar dreissig Mal wiederholen. In der Akrobatik-Fliegerei ist sie erfolgreich unterwegs: Dieses Jahr hat sie den «Hamilton Cup» gewonnen, also die Gesamtwertung, und wurde zweite bei den Schweizer Meisterschaften. Wenn sie nicht gerade in der Luft ist und Fassrollen, «Humpty Bump» – eine Art Looping – und sonstige akrobatische Elemente mit dem Flieger macht, arbeitet sie als Physiotherapeutin und Dozentin.

Meine Hände krallen sich an den Gurten fest. Wo soll ich mich denn auch sonst halten? Ja nicht an der Fallschirm-Reissleine! Dann steigt Ursula Müller ein. Das einzige an ihr, was an einen typischen Piloten aus Filmen erinnert, ist ihre Sonnenbrille – sie verleiht der ganzen Szenerie etwas «Top Gun»-Feeling. Wir reden miteinander über das Headset und können uns dank eines «Rückspiegels» auch sehen. Es geht auf die Startbahn.

Langsam ein- und ausatmen

Ursula Müller trainiert dreimal im Monat für 30 Minuten. Das kostet sie etwa 150 Franken pro Flug. «Es ist schon so, dass das Hobby etwas kostet», sagt sie. «Ich bin deswegen nicht reich.»  Ein Klischee, das sie stört.

Wir sind in der Luft und ich schaue nach unten. Auf den Bodensee, der glitzert, und den Rhein, der sich durch das Rheintal schlängelt. Die Autos sehen aus wie kleine Spielzeugwagen. Ich stelle mir vor, wie ich sie einfach so mit der rechten Hand aufhebe. Ursula Müller erklärt mir genau, wie sie die Figuren fliegt und gibt mir Tipps, wie ich am besten atmen soll und wann ich meinen Bauch anspannen muss.

Erste Figur: Fassrolle. Man fliegt geradeaus und rollt dabei einmal um die eigene Achse. Ich schliesse die Augen. Zweite Figur: Humpty Bump. Mein Magen ist flau, ein Kribbeln macht sich breit. Irgendwie habe ich heiss, aber gleichzeitig auch kalt. Vielleicht ist das der berühmte kalte Schweiss, der mir den Rücken runterläuft.

Auf die Frage ob Fliegen nicht schlecht sei für die Umwelt sagt Müller: «Dass ein Flieger Co2 ausstösst bestreite ich nicht, aber ich entgegne dem: Fast jeder und jede hat ein Auto und geht mit dem Auto oder Flieger in die Ferien. Wir Menschen stossen jeden Tag CO2 aus und zwar ein Haufen. Im Vergleich zur Anzahl Autos erbringen wir in der Kunstfliegerei deutlich weniger CO2-Ausstoss.»

Irgendwie ist mir schlecht. Und irgendwie ist mir aber auch klar, dass ich soeben etwas erlebt habe, das ich so schnell nicht mehr machen werde. Freude kommt hoch, doch der flaue Magen bleibt. Wir peilen die Landebahn an, die Räder berühren den Asphalt. Ich steige aus und spüre den Boden unter meinen Füssen. Das ist eben doch das beste Gefühl.

veröffentlicht: 23. Oktober 2021 07:33
aktualisiert: 23. Oktober 2021 12:54
Quelle: FM1Today

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