«Hemmschwelle bei Eltern ist tiefer»

26.10.2017, 17:48 Uhr
· Online seit 26.10.2017, 17:08 Uhr
Der Fall einer Mutter, die eine Lehrerin in Zürich angegriffen hat, gibt zu reden. In der Ostschweiz sind keine solch krassen Fälle bekannt, dennoch trauen sich Eltern heutzutage viel eher, Entscheide der Schule in Frage zu stellen.
Lara Abderhalden
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Eine Mutter greift die Lehrerin ihres Sohnes an. Beleidigt und würgt sie. Das alles vor versammelter Klasse. Der Übergriff geschieht einen Tag, nachdem die Behörden der Mutter aus Dietikon den Sohn weggenommen haben. Die Mutter macht die Lehrerin dafür verantwortlich. Der Vater schaut beim Angriff auf die Lehrerin zu und lacht, berichtete der Blick. «Ich werde dich und deinen Sohn töten», soll die Mutter gesagt haben. Den Schülern ist es gelungen, Hilfe zu holen und die Polizei zu alarmieren. Diese hat die Eltern vor Ort verhaftet.

Tiefere Hemmschwelle bei Eltern als früher

Solche Gewalttaten gegenüber Lehrern, ausgehend von den Eltern, sind in der Ostschweiz sehr selten, sagt Daniel Thommen, Mitglied des Präsidiums des St.Galler Lehrerverbandes: «Es ist schwierig zu sagen, da Lehrpersonen bei solchen Fällen nicht als Erstes zu uns kommen. Dem St.Galler Lehrerverband sind aber keine solch krassen Fälle bekannt.»

Was der Berufsschullehrer jedoch feststellt, die Eltern mischen sich immer häufiger in die Angelegenheiten der Lehrer ein: «Die Hemmschwelle, dass sich Eltern bei Lehrern melden, weil sie mit einem Bescheid, sei es mit Noten oder Disziplinarmassnahmen, nicht einverstanden sind, ist sicher tiefer geworden als früher.» In den allermeisten Fällen passiere dies aber auf einem vernünftigen und anständigen Weg in entsprechendem Ton. Natürlich gäbe es Einzelfälle in denen Eltern laut werden. Diese Fälle werden aber gleich vor Ort vom Lehrer oder Schulleiter geregelt.

Schüler greifen Lehrer an

Auch im Kanton Thurgau gab es bis jetzt keine extremen Fälle, die dem Amt für Volksschule gemeldet wurden. «In meinen sechs Jahren, in denen ich hier arbeite, habe ich noch keinen einzigen Fall von Gewalt von Eltern gegenüber Lehrern erlebt», sagt Martin Kressibucher, Abteilungsleiter der Schulaufsicht. Im Kanton Thurgau würden Schulinspektoren eingesetzt die in engem Kontakt mit den einzelnen Schulleitern stehen. «Gibt es irgendwo Probleme, bekommen wir das mit und können entsprechend handeln.»

Allerdings gab es einzelne Fälle, in denen Lehrer von Schülern angegriffen wurden. Dies kann auch Daniel Thommen bestätigen: «Ich selbst komme aus dem Berufslehrerbereich und es gibt tatsächlich solche Fälle. Die Zahl ist verhältnismässig aber relativ gering.» Natürlich sei jeder Fall zu viel und werde entsprechend sanktioniert. «In die körperliche Integrität von Lehrern einzugreifen, das geht ganz und gar nicht.»

Lehrer sind besser geschützt

Kommt es doch zu einer solchen «Krisensituation», ist der Lehrer mit den Schülern häufig alleine. Dennoch seien die Lehrer heutzutage besser geschützt als früher: «Grundsätzlich ist es so, dass man in allen Schulhäusern ein Krisenmanagement hat und weiss, wie man vorgehen muss, wenn es eine bedrohliche Situation gibt.» Dennoch, kaum eine Situation die eskaliert, wird vorher angekündigt. «Es gibt immer Überraschungen. In einem solchen Moment ist es wichtig, dass man sich anhand des Krisenhandbuches Hilfe holt und die Polizei informiert.»

Dunkelziffer an Fällen von Bedrohungen

Das Lehrer tatsächlich soweit gehen und die Polizei einschalten, dazu komme es eher selten. Daniel Thommen befürchtet, dass es eine Dunkelziffer von Fällen gibt, die das Schulzimmer nie verlassen: «Es gibt bestimmt Fälle, die uns nie gemeldet werden. Wie viele das sind, können wir nicht sagen.» Ein Angriff auf eine Lehrperson habe immer auch mit der Untergrabung von Autorität zu tun. «Einige haben vermutlich Mühe, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Es kann schnell gehen und aus einem Opfer wird ein Täter.» Die Öffentlichkeit gehe schnell davon aus, dass es einen Grund für den Ausraster der Eltern gegeben haben muss. «Manch einer möchte solche Fälle intern regeln und unter dem Deckel halten, damit der Fall in der Öffentlichkeit nicht breit getreten wird.»

Jeder kommentiert alles

Hinzu komme, dass es in in der heutigen Zeit einfach dazu gehöre, in jeglicher Form seine Meinung kund zu tun. Dieses ständige «kommentieren» habe auch vor dem Klassenzimmer nicht halt gemacht: «Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass jeder zu jedem etwas zu sagen hat, natürlich auch in der Schule. Die Eltern trauen sich eher, Entscheide der Schule in Frage zu stellen.»

(abl)

 

veröffentlicht: 26. Oktober 2017 17:08
aktualisiert: 26. Oktober 2017 17:48

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