Corona-Massnahmen

«Ich sehe das als Schikane gegen die Gastro»

20.10.2020, 09:31 Uhr
· Online seit 20.10.2020, 08:22 Uhr
Der Verein «Nacht Gallen» übt scharfe Kritik an den Massnahmen des Kantons St.Gallen. Der Zeitpunkt der Ankündigung vom Freitag sei zu kurzfristig gewesen, meinen auch die Beizer in der Stadt St.Gallen – und sehen für die Zukunft schwarz.
Sandro Zulian
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«Die Kultur und das Nachtleben brauchen jetzt Hilfe», steht in Grossbuchstaben eines am Montag veröffentlichten Statements der St.Galler Nachtclubvereinigung «Nacht Gallen». Der Zusammenschluss von Gastronomie- und Kulturbetrieben in der Stadt St.Gallen sieht pessimistisch in die Zukunft.

«Schlag ins Gesicht»

Der Kanton St.Gallen rief am letzten Freitag um 16 Uhr ein allgemeines Tanzverbot und eine Maskenpflicht bei Serviceangestellten aus. Ferner müssen die Gäste seit Samstag ihre Getränke und Speisen ausschliesslich im Sitzen einnehmen. Heisst: Ab Mitternacht mussten gewisse Lokalitäten während des laufenden Betriebs die neuen Massnahmen umsetzen.

Für die Vorbereitung ebenjener blieben den Gastronomen, Bar- und Clubbesitzern gerade mal ein paar Stunden. «Die am Freitag kurz vor Türöffnung der Clubs und Bars einberufene Pressekonferenz hat bei Nacht Gallen und bei unseren Mitgliedern für ein riesiges Chaos gesorgt und ist ein Schlag ins Gesicht aller Veranstalter*innen, Bars und Clubs», heisst es im Statement weiter.

Tanzverbot = Keine Konzerte

Die Mitglieder des Interessenvereins verstehen, dass mit den aktuell stark ansteigenden Infektionszahlen der Kanton St.Gallen in der Pflicht steht, Massnahmen zu ergreifen. Dass diese allerdings so kurzfristig kommuniziert worden sind, sei unverständlich.

Das neu eingeführte Tanzverbot stelle ein Verbot sämtlicher Veranstaltungen dar. Konzerte, seien sie noch so coronakonform, würden schlicht nicht mehr besucht. Partys fallen ebenfalls komplett weg.

«Nacht Gallen» rechnet vor: «Der Kultursektor erwirtschaftet mit über 60'000 Unternehmen schweizweit pro Jahr eine Wertschöpfung von 15 Milliarden.» Dies gelte es nun zu schützen, fordert der Verein und nimmt die St.Galler Regierung in die Pflicht: «Hier muss der Kanton nun schnell und unbürokratisch Verantwortung übernehmen und neben den Konzertlocations auch für die Clubs und Bars Ausfallentschädigungen zulassen.» Die Angst sei gross, dass viele Gastro- und Eventlokale schliesslich dichtmachen müssen und die Betreiber vor dem Konkurs stehen.

Auch die IG Kultur Ost bangt um die Zukunft solcher Lokale, wie TVO berichtet:

Quelle: tvo

«Anspannung war spürbar»

Auch Thomas Peter, Betreiber der «Rock Story» beim berühmten Bermuda-Dreieck im Herzen der St.Galler Innenstadt, teilt diese Meinung. Für ihn war der vergangene Freitag ein spezieller Abend. «An diesem Abend war bei uns Livemusik geplant. Mittlerweile bin ich schon fast froh, habe ich die Band für diesen Abend eingeladen. Einen Tag später wäre das nicht mehr durchführbar gewesen.»

Kurz nachdem der Kanton in einer Medienmitteilung bekannt gemacht hatte, dass die Massnahmen bereits ab Mitternacht gelten würden, sei die Stimmung ein wenig gekippt, sagt Peter: «Bei den Gästen konnte man eine gewisse Anspannung spüren.» Einige hätten nämlich noch gar nicht gewusst, was entschieden worden war und erfuhren es praktisch im Ausgang.

Ab Mitternacht müssen alle sitzen

Ein bisschen später am selben Abend bekam Peter Besuch von der Polizei: «Zwei Polizisten kamen in die Bar und haben mich ganz freundlich auf die ab Mitternacht geltenden Massnahmen aufmerksam gemacht.» Offenbar wurden einige weitere Betriebe in der Stadt von Polizisten besucht.

Die Beamten rieten Peter, seine Gäste um 22 oder 23 Uhr darauf hinzuweisen, dass ab Mitternacht alle sitzen müssen. Habe man keinen Sitzplatz, müsse man die Bar verlassen. Diese polizeilichen Streifzüge durch die Stadt stelle er sich nicht einfach vor, so Peter: «Die beiden hatten an diesem Abend wohl auch nicht den schönsten Job.»

Öffnungszeiten verkürzt

Kritik übt Peter derweil auch nicht an den Gesetzeshütern, sondern an der Politik: «Ich sehe das als Schikane gegen die Gastro an. Eigentlich sollte jedem klar sein, dass während eines laufenden Betriebs ein solches Konzept nicht einfach von der einen auf die andere Minute umgesetzt werden kann.» Diese Entscheidung seitens der Politik sei unbegreiflich.

Schliesslich habe er sich für die einfachste Variante entschieden und seine Bar um Mitternacht geschlossen. Eigentlich habe er sich auf einen schönen Abend mit Livemusik gefreut, denn dafür habe er extra eine Verlängerung der Öffnungszeiten beantragt: «Ich habe meine Öffnungszeiten so halt gekürzt, anstatt verlängert.»

Peter hat ungewisse Monate vor sich. «Ich glaube, dass es viele Betriebe recht schwer haben werden.» Die aktuelle Situation verunsichere auch die Gäste, die sich dazu entscheiden würden, gar nicht mehr zu kommen. Das könne zu Umsatzeinbussen oder gar zu Schliessungen führen: Ehrlich gesagt sehe ich schwarz für die Gastroszene.»

Gastroszene wehrt sich – mit einer Prise Ironie

Nicht nur Peter sieht dunkle Wolken am Gastrohimmel, auch viele andere Bar- und Clubbetreiber sind besorgt. Auf der Webseite von «Nacht Gallen» äussert sich zum Beispiel Kugl-Chef Daniel Weder wie folgt: «Corona hin oder her: Solch eine Art von Entscheiden ist nicht nachvollziehbar. Veranstaltungen in Clubs sind in den Augen vieler Politiker*innen immer noch ein bisschen Spass haben und Tanzen zu irgendeinem DJ. Niemandem scheint bewusst zu sein, was für ein riesiger Aufwand (personell und finanziell) hinter solchen professionell organisierten Events steckt.»

Und Ishi Sosa von der «August Bar» quittiert das Vorgehen des Kantons mit einer gehörigen Prise Ironie: «Es werden Massnahmen erlassen, die einen ökonomisch sinnvollen Betrieb verunmöglichen, aber gleichzeitig noch genug Raum lassen, um unseren Anspruch an Kurzarbeitsentschädigung nichtig zu machen. Ich wollte heute den Rechtsdienst der Gastrosuisse dazu befragen, leider arbeitet man dort aber nur Montag bis Donnerstag.»

veröffentlicht: 20. Oktober 2020 08:22
aktualisiert: 20. Oktober 2020 09:31
Quelle: FM1Today

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