Falsche Covid-Zertifikate

«Der Mensch ist die grosse Lücke im System»

11.03.2022, 22:31 Uhr
· Online seit 28.01.2022, 05:46 Uhr
Rund 9000 falsche Covid-Zertifikate wurden im Kanton St.Gallen festgestellt. Über potenzielle Sicherheitslücken informierte der Kanton den Bund schon vor Monaten. Gehandelt wird allerdings erst jetzt. Zu spät?
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Zehn Personen wurden festgenommen, weil sie im Verdacht stehen, falsche Covid-Zertifikate ausgestellt zu haben. 9000 davon sollen im Kanton St.Gallen im Umlauf sein. Wie konnte das passieren und wer ist dafür verantwortlich? «Impfzertifikate werden direkt über das IT-Tool, in dem die Impfungen erfasst werden, ausgelöst. Nebenbei gibt es die Möglichkeit, manuell über eine Web-Applikation Impfzertifikate anzufordern. Diese Möglichkeit haben wir auf eine kleine Anzahl Personen beschränkt. Aber auch diejenigen, die Test- und Genesenenzertifikate ausstellen, haben Zugang zu dieser Web-Applikation und können somit auch Impfzertifikate ausstellen», erklärt Karin Faisst, Leiterin des Amts für Gesundheitsvorsorge des Kantons St.Gallen.

Quelle: tvo

Gefahrenpotenzial wurde dem Bund gemeldet

Das Problem in diesen Fällen ist laut Faisst also nicht hauptsächlich technischer, sondern menschlicher Natur: «Der Mensch ist die grosse Lücke im System. Es wurde missbräuchlich verwendet.» Dass diesbezüglich Gefahrenpotenzial besteht, war dem Kanton St.Gallen schon länger bewusst. Der Anfrage beim Bund, die Berechtigungen für das System einzuschränken, wurde nicht Folge geleistet. «Der Bund argumentierte, dass bei der Entwicklung des Systems viel Zeitdruck bestand und eine Berechtigungsbeschränkung nicht mitkonzipiert wurde.»

Dies gestaltete die Kontrolle für die Kantone in den letzten Monaten schwierig. Nun hat der Bund angekündigt, den Kantonen regelmässig Listen zukommen zu lassen, auf welchen ersichtlich ist, wer Impfzertifikate ausgestellt hat. «Das wird unsere Arbeit in Zukunft erleichtern», sagt Faisst.

Eine Massnahme, die angesichts der Anzahl der aktuellen Falschzertifikate spät anmassen mag. Diese Zahl müsse allerdings ins Verhältnis gesetzt werden, betont Faisst. Bisher wurden im Kanton St.Gallen rund 490'000 Covid-Zertifikate ausgestellt. Die 9000 falschen Zertifikate machen also «nur» rund 1,8 Prozent davon aus. «Absolut betrachtet sind die 9000 Fälle aber natürlich viel.»

Konkrete Verdachtsfälle gegen mehrere hundert Personen

Doch wie sieht die Dunkelziffer aus? Muss der Kanton St.Gallen in den kommenden Wochen mit weiteren tausenden gefälschten Zertifikaten rechnen? Christoph Ill, Erster Staatsanwalt des Kantons St.Gallen, wagt dies zu bezweifeln: «Ich bin davon überzeugt, dass es bezüglich der Fälle keine grossen Korrekturen nach oben geben wird. Das Datenmaterial ist vollständig. Ich will allerdings nicht ausschliessen, dass es auch noch an anderen Orten Falschzertifizierungen gegeben hat.»

Prioritär werden nun die zehn mutmasslichen Ersteller und die rund 9000 Abnehmer der Zertifikate ins Visier der Staatsanwaltschaft gerückt. «Bei den Abnehmern gehen die konkreten Verdachtsfälle gegen mehrere hundert Personen. Wir gehen davon aus, dass wir diese ermitteln können. Wie bei allen Massendelikten wird es aber kaum möglich sein, alle Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen», sagt Ill. Abnehmern ohne Vorstrafen drohen laut Ill rund 60 Tagessätze und eine Verbindungsbusse in der Höhe eines Drittels der Geldstrafe.

Bei den Erstellern der Zertifikate könnten aber noch weitere hinzukommen: «Diesbezüglich gehe ich nicht davon aus, dass dies schon der abschliessende Bestand ist. Täglich kommen weitere Erkenntnisse hinzu», sagt Ill. Ob die zehn festgenommenen Personen zusammengearbeitet haben, werde überprüft. Aktuell werden aber laut Ill voneinander unabhängige Untersuchungsstränge erkannt, was gegen einen übergeordneten Zusammenhang spricht. Den zehn Personen wird Urkundenfälschung vorgeworfen. «Dies ist ein Verbrechenstatbestand, der mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet wird.»

Gefahr für die Bevölkerung durch Personen mit falschen Zertifikaten?

Abgesehen von rechtlichen und technischen Gesichtspunkten stellt sich noch die Frage, ob von 9000 Personen mit gefälschten Zertifikaten eine Gefahr ausgeht. Wer ein solches besitzt, erhält Zugang zu Veranstaltungen, Bars und Clubs und dies wahrscheinlich ohne den vorgeschriebenen Test- oder Impfstatus.

«Grundsätzlich bewegen sich diese Leute in einem Raum, in dem ich sage, ich bin geimpft oder genesen. Wir haben die Massnahmen so ausgelegt, dass man den Leuten, bei denen dies zutrifft, Freiheiten gibt. Die Missachtung der Massnahme wird zu einem höheren Risiko für alle beteiligten», sagt Karin Faisst von Amt für Gesundheitsvorsorge.

Diesen Personen sollte das Risiko, in das sie andere bringen, bewusst sein, findet Faisst. Hinzu komme: «Die Impfung ist gratis, für die falschen Zertifikate wurde eine Straftat in Kauf und viel Geld in die Hand genommen.» Daraus schliesst sich für Karin Faisst eine klare Message: «Impfe dich und schütze andere.»

Für sämtliche beschuldigten Personen gilt die Unschuldsvermutung.

veröffentlicht: 28. Januar 2022 05:46
aktualisiert: 11. März 2022 22:31
Quelle: FM1Today

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